„Man muss Zuversicht verbreiten.“
Unternehmerin Irene Wagner über Rettungsstrategien, Lage der Autoindustrie und der Wirtschaft im Berchtesgadener Land.
Ein persönliches Gespräch war wegen den Corona-Sicherheitsmaßnahmen nicht möglich. Bei der psm protech in Marktschellenberg dürfen nach wie vor keine Kunden und Lieferanten auf das Firmengelände. Geschäftsführerin Irene Wagner nimmt es mit den Hygieneregeln sehr genau.
Am Telefon sprechen wir mit der Unternehmerin und Vorsitzenden des IHK-Regionalausschusses Berchtesgadener Land über Krisenerfahrungen, Krisenstrategien, die Probleme ihrer Tourismusregion und einen Punkt, den Irene Wagner betont: Die deutsche Wirtschaft fährt nur dann wieder hoch, wenn Europa insgesamt wieder auf die Beine kommt.
Frau Wagner, wie geht es Ihnen und Ihren Mitarbeitern?
Alle sind gesund. Keiner hat Corona eingeschleppt. Wir haben aber auch sehr schnell und streng auf das Risiko reagiert: mit Hygienevorschriften und Schutzmasken-Pflicht. Wir haben Kunden und Lieferanten nicht mehr ins Haus gelassen, sind nirgendwo mehr hingefahren. Und das alles, bevor die politische Seite die Ausgangsbeschränkungen beschlossen hat. Wir haben alle Maßnahmen schnell hochgefahren.
Fanden Sie sich in den vergangenen Wochen gut informiert und regiert?
Ja. Ich fühlte mich gut regiert. Das gilt für Bundesregierung und Staatsregierung. Ich fand sehr bemerkenswert, was die Verbände und auch die IHK in dieser Zeit geleistet haben. Vom Verband der bayerischen Wirtschaft gibt es täglich diesen VIP-Newsletter, in dem alle wichtigen Änderungen drinstehen – etwa Elternbetreuung, Kurzarbeitergeld, Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen. Ein ganz toller Service. Der Newsletter kommt sogar am Wochenende.
Haben Sie staatliche Hilfsmaßnahmen beansprucht?
Ja, die Kurzarbeit.
Wir müssen das Konsumklima insgesamt verbessern.
Sind Sie als Zulieferer der Autoindustrie vom Konjunkturpaket enttäuscht? Die Kaufprämien für Autos wurden ja gestrichen.
Es bringt jetzt nichts, nur einem Industriezweig oder einer Branche zu helfen. Wir müssen das Konsumklima insgesamt verbessern, das hilft letztlich auch der Autoindustrie. Insofern verfolgt die Bundesregierung die richtige Strategie. Ich war nie ein Verfechter der Idee von Kaufprämien für Autos.
Als es nach der Finanzkrise die Abwrackprämie gab, wurden aber tatsächlich mehr Autos gekauft.
Damals habe ich noch für die Fiat-Gruppe gearbeitet. Wir haben uns über diese Prämie riesig gefreut. Die Bundesbürger kauften hauptsächlich kleine Autos französischer und italienischer Hersteller. Ich verstehe nicht, was das BMW oder Mercedes bringen soll.
Eine Prämie gibt es aber doch: für E-Autos. Bis zu einem Nettolistenpreis von 40.000 Euro steigt die Förderung des Bundes auf 6.000 Euro.
Ich halte nichts davon, den Kauf von E-Autos zu fördern. Der Staat kann nicht besser als der Markt beurteilen, was die Antriebsarbeiten der Zukunft sind. Der Staat soll Vorgaben machen, was Umwelt und Klimaschutz anbelangt. Wie diese Ziele zu erreichen sind, das sollte er besser der Wirtschaft und Verbrauchern überlassen.
E-Mobilität ist nicht die Lösung aller Probleme.
E-Mobilität fördern, weil wir Klimaschutz wollen – das klingt doch vernünftig.
Ich glaube nicht, dass E-Mobilität die Lösung aller Probleme ist. Im Gegenteil: Man muss sich nur mal ansehen, wie im Kongo Seltene Erden abgebaut werden. In Südamerika haben ganze Landstriche kein Wasser mehr, weil man für die Batterien die Rohstoffe abbaut. Wer E-Autos fördert, fördert unter heutigen Bedingungen auch gigantische Umweltschäden. Die Politik sollte nicht vorgeben, in welche Technologie man investiert.
Der Bund gibt zusätzlich 2,5 Milliarden Euro für Ladesäulen-Infrastruktur und Entwicklung der Batterietechnik aus. Halten Sie das für eine Fehlinvestition?
Nein, das ist richtig. Wir müssen natürlich die Ladeinfrastruktur massiv ausbauen. E-Mobilität wird sicher ein Standbein des Autoverkehrs der Zukunft sein. Es ist tatsächlich erstaunlich, dass wir uns da so schwertun. Was ich falsch finde, ist nur, die E-Mobilität zum alleinigen Wundermittel zu erklären.
Diskutieren Sie mit anderen Unternehmern über die Corona-Krise?
Am Anfang blieb dafür nur sehr wenig Zeit. Ich war doch extrem beschäftigt und belastet mit der Situation. Da gilt es vorrangig, das eigene Unternehmen durch die Krise zu bringen.
Welche Rettungsstrategie haben Sie verfolgt?
Es gibt die gesundheitliche Seite. Was macht man mit seinen Mitarbeitern? Was kann man tun, um sein Unternehmen zu schützen? Ich hatte natürlich die Sorge, dass sich im eigenen Betrieb jemand ansteckt und eine Pandemie ausbricht. Wir hatten einen sehr hohen Krankenstand. Jeder der eine Erkältung hatte, blieb sofort zuhause. Es hätte ja Corona sein können. Alle Mitarbeiter waren total verunsichert. Da muss man als Chef oder Manager Zuversicht verbreiten. Man darf da nicht ängstlich wirken.
Wie haben Sie die Krise persönlich erlebt?
Als immensen Druck. Es gibt wahnsinnig viel zu organisieren und zu entscheiden. Wie geht man um mit der reduzierten Nachfrage? Kann man Bestellungen bei Lieferanten verschieben oder stornieren? Wie führt man die Kurzarbeit ein? Welche Bereiche meines Unternehmens sind am härtesten betroffen? Nur wer selbst Unternehmer ist, kann sich, glaube ich, vorstellen, wie viel Arbeit das bedeutet.
Haben andere Unternehmer ähnliche Erfahrungen gemacht?
In meinem Freundeskreis sind einige Unternehmer. Da hat man sich natürlich auch mal über die Frage ausgetauscht: Wie geht es Dir denn so? Da sind auch Hoteliers dabei.
Klingt nach Drama.
Ganz am Anfang sah man das relativ gelassen. Bei uns im Berchtesgadener Land ist es üblich, dass viele Hotels zwischen Mitte März und Ostern zumachen. Wir haben keine lange Skisaison hier, wir sind eher ein Skitourengebiet. Als der Lockdown kam, dachten sich die Hoteliers: Okay, wir renovieren ein wenig, wir machen Mitte April wieder auf. Dann wurde schnell klar: Mitte April geht gar nichts. Und die Gäste stornierten massenhaft nicht nur den Oster-Urlaub, sondern gleich auch für Juni, Juli und August. Dann wurde es dramatisch.
Wie geht es den anderen Branchen Ihrer Region?
Unsere jüngste Regionalausschuss-Sitzung gab da ein klares Bild: Industrieunternehmen, Automotive, Maschinenbau sind massiv betroffen, Gastronomie und Hotellerie sowieso. Im Bau haben sie noch viele Aufträge in den Büchern, aber es kommen keine neuen mehr. Der Auftragsbestand schmilzt ab. Die Baufirmen gehen davon aus, dass bei ihnen die Krise zeitversetzt ankommt. Die Gewinner sind Lebensmittelmärkte, die können sich nicht retten vor Arbeit.
Warum kommt der Konsum trotz der Lockerungen so schwer in Gang?
Nachfrage und Konjunktur haben viel mit Psychologie zu tun. In aktuellen Umfragen finde ich einen Punkt spannend: Ein sehr großer Prozentsatz der Bundesbürger befürchtet keine Verschlechterung ihrer Einkommen. Das Potenzial für einen Nachfrageschub ist also da. Die Politik muss nun mit den richtigen Schritten Zuversicht wecken. Da dürfen wir nicht nur national denken. Wir müssen EU-weit für Aufbruchsstimmung sorgen.
Dafür wirbt auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie will 750 Milliarden Euro für den Wiederaufbau Europas investieren.
Investitionen in Europas Zukunft – das finde ich richtig. Die Frage ist nur, wie wir das finanzieren. Ein Punkt, denn erstaunlicherweise keiner erwähnt: Wir reiche Deutsche müssen armen Italienern helfen, das Bild stimmt doch so nicht. Das Durchschnittsvermögen eines Italieners ist mehr als doppelt so hoch wie das eines Deutschen.
Was schlagen Sie vor?
Eine Art Solidaritätszuschlag auf europäischer Ebene. Einen EU-Soli, den alle bezahlen, die sich das leisten können mit hohem Freibetrag und europaweit. Den würde ich auch bezahlen.
Und damit wollen Sie EU-weit Investitionen finanzieren?
Ja, so ähnlich wie nach der Wiedervereinigung. Wir können nicht andauernd die Zahlung Hunderter von Milliarden über Staatsschulden in die Zukunft verschieben.
Für mich ist die große Frage, was Trump noch anrichtet.
Bayerns Zukunft hängt auch davon ab, wie Ihre Autobranche aus der Krise kommt. Wann erwarten Sie erste Lebenszeichen?
Ich mache keine Prognosen mehr (lacht). Die Zukunft unsere Branche hängt extrem davon ab, was auf dem Weltmarkt passiert. Für mich ist da die große Frage, was US-Präsident Donald Trump im Welthandel noch anrichtet. Ich hoffe, wir erleben derzeit die letzten Wochen seiner Amtszeit. Sollte Trump wiedergewählt werden, das Szenario mag ich mir nicht vorstellen.
Was halten Sie vom Vorschlag von Siemens-Chef Joe Kaeser, wir sollten uns wegen des Konflikts zwischen China und den USA auf Indien, Afrika und den EU-Binnenmarkt konzentrieren?
Die Idee, den EU-Binnenmarkt zu stärken, finde ich gut. Ich bin für mehr Europa. Von Nationalismus halte ich nichts. Es ist sicher nicht falsch, sich mehr um Afrika und Indien zu kümmern, aber USA und China sind für den Welthandel so wichtig – an den beiden Märkten kommt keiner vorbei. Der größte Absatzmarkt der Volkswagengruppe ist weder Deutschland noch Europa, es ist China. Das ist Fakt.
Gab es in diesen Corona-Wochen Dinge, die Sie gut fanden?
Was ich absolut positiv finde: Wie gut Deutschland bislang durch diese Krise gekommen ist. Der Föderalismus hat sich gerade jetzt bewährt. Es macht eben keinen Sinn, in Mecklenburg-Vorpommern die gleichen Maßnahmen zu verhängen wie in Bayern, weil es in beiden Ländern komplett unterschiedliche Fallzahlen gibt.
Gab es auch Fehler im deutschen Krisenmanagement?
Es gab bislang nichts, über das ich sagen müsste: Das war jetzt total falsch. Extrem bemerkenswert finde ich, in welchem Tempo Gesetze und Maßnahmen beschlossen wurden. Das kannten wir in Deutschland bislang ja nicht. Ich finde es sehr beruhigend, wie gut unser politisches System funktioniert.
Retten wir nicht zu viel Vergangenheit? Hätten Startups nicht mehr Geld kriegen müssen?
Was nützen Startups und Ähnliches, wenn die traditionelle Industrie und Wertschöpfung nicht wieder ganz schnell auf die Beine kommt? Wir brauchen dieses Fundament. Wir müssen erst das Geld erwirtschaften, um danach auch Startups fördern zu können.
Werden wir im Katastrophenjahr 2020 noch gute Wochen erleben?
Nein, das glaube ich nicht. Noch herrscht die Angst vor der zweiten Welle. Auch wenn Reisewarnungen fallen, sind die meisten Leute noch sehr vorsichtig. Viele werden auf den Urlaub in Nachbarländern verzichten. Ich finde gut, dass man die Dinge jetzt lockert, wir müssen aber alle im Hinterkopf haben: Das kann ganz schnell wieder kippen.
Wie sehen die Perspektiven für Ihr Unternehmen aus?
Ich rechne damit, dass wir bis August Katastrophenmonate haben. Der August ist für die Autoindustrie immer schlecht. Von September an wird es hoffentlich wieder einen leichten Aufwärtstrend geben. Ich hoffe, dass wir im Oktober wieder einigermaßen normalen Geschäftsbetrieb haben. Allerdings wird der Umsatz deutlich unter dem Vorkrisen-Niveau liegen.
Die Fragen stellte IHK-Redakteur Martin Armbruster.
Zur Person:
Irene Wagner ist Geschäftsführerin der psm protech GmbH & Co. KG in Marktschellenberg. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Herstellung von Stanz- und Kunststoffspritzgussteile sowie Kunststoff-Metallverbundteilen hauptsächlich für die Autoindustrie. Irene Wagner ist Mitglied der IHK-Vollversammlung und Vorsitzende des IHK-Regionalausschusses Berchtesgadener Land.