Richtinienentwurf zur Produkthaftung - Verschärfung der Haftung für fehlerhafte Produkte
Die EU-Kommission hat den Entwurf einer Produkthaftungsrichtlinie vorgestellt. Würde sie in der geplanten Form umgesetzt, würde sie für die Wirtschaft Verschärfungen bringen. Welche, war Thema einer IHK-Veranstaltung in Brüssel.
Welche Änderungen stehen in dem Richtlinienentwurf?
Die bayerischen Industrie- und Handelskammern (BIHK) haben in Kooperation mit der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und dem Enterprise Europe Network (EEN) sowie mit freundlicher Unterstützung der Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union am 03.Mai 2023 einen Parlamentarischen Abend zum Thema „Verschärfung der Haftung für fehlerhafte Produkte“ veranstaltet. Das Interesse an den geplanten neuen Regeln für die Wirtschaft war sehr hoch. 130 Teilnehmer verfolgten die Diskussion auf dem hochkarätig besetzten Panel.
Armin Hartmuth, Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union, betonte in seiner Begrüßung, dass bei einer Anpassung der Produkthaftung an die digitale Welt die Wirtschaftsfähigkeit der Unternehmen gewährleistet werden müssen. Folgende Punkte sind nach seiner Auffassung wichtig:
- Verursachen KI-Produkte einen Schaden, sollen Geschädigte den selben Zugang zu Entschädigung erhalten wie für durch andere Produkte verursachte Schäden.
- Eine angepasste Produkthaftung soll allen Beteiligten Rechtssicherheit bieten.
- Der Mittelstand, als Garant für Beschäftigung und Wohlstand, darf nicht übermäßig belastet werden.
Warum muss die Produkthaftungsrichtlinie geändert werden?
In ihrem Impulsvortrag stellte Amaryllis Verhoeven, EU-Kommission, heraus, dass die seit dem Jahr 1985 bestehende Produkthaftungsrichtlinie den Herausforderungen der neuen digitalen Technologien nicht gerecht werde. Deshalb müsse sie angepasst werden. Die Überarbeitung ziele darauf ab, das Funktionieren des Binnenmarkts, den freien Wettbewerb, einen unverfälschten Wettbewerb zwischen den Marktteilnehmern und ein hohes Maß an Schutz der Gesundheit und des Eigentums der Verbraucher zu gewährleisten. Dabei solle die Beweisführung für geschädigte Personen erleichtert und die Hürden für die Geltendmachung von Ansprüchen herabgesetzt werden.
Unternehmen müssen Beweismittel vorlegen
Thomas Klindt, Rechtsanwalt und Experte im Produkthaftungsrecht der Kanzlei Noerr, stellte in seinem Impulsvortrag heraus, dass die wohl spektakulärste Neuerung die Möglichkeit des Gerichts ist, den beklagten Unternehmer zu verpflichten, in seinem Besitz befindliche Beweismittel vorzulegen.
- Dadurch erhält der Geschädigte Einblick z.B. in Konstruktionsunterlagen oder dokumentierte Erkenntnisse aus der Produktbeobachtung.
- Diese Pflicht zur Offenlegung von Beweismitteln wird die Balance empfindlich zu Lasten der Unternehmen stören. Denn Produkthaftung bedeutet, dass der Unternehmer für den ersten Fehler seines Produktes haftet, auch wenn er den Fehler nicht verschuldet hat.
- Im Ausgleich dazu mutet das Gesetz dem Geschädigten die volle Beweislast zu.
Marion Walsmann, Europäisches Parlament und stellvertretende Vorsitzende im Rechtsausschussdes Europäische Parlaments, betonte dass eine Novellierung der Produkthaftung notwendig sei für den Übergang ins digitale Zeitalter. Sie betonte aber auch die Notwendigkeit, keine neuen Ungerechtigkeiten für Unternehmen zu schaffen. Diese führten dazu, dass Unternehmen nicht mehr produzieren, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Wichtig sei die Kohärenz mit den bestehenden Vorschriften und ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen der Verbraucher und einem innovationsfreundlichen Klima für Unternehmen. Weitere neue unbestimmte Rechtsbegriffe sollten vermieden werden.
Heidrun Hausen, Mitglied der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, DELO Industrie Klebstoffe, hält die Offenbarungsplicht von Unternehmen im Klageprozess für ein unkalkulierbares Haftungsrisiko. Sie gab zu bedenken, dass Haftungsverschärfungen die Gefahr bergen, dass Unternehmen sich Innovationen zukünftig nicht mehr leisten können. Zudem zweifelte sie daran, dass Verbraucher durch die geltende Produkthaftung derart benachteiligt seien, dass eine Haftungsverschärfung zu Lasten der gesamten Industrie gerechtfertigt sei.
Christian Handig, Wirtschaftskammer Österreich, gab zu bedenken, dass der Wegfall des Selbstbehaltes dazu führen könnte, dass auch niedrigere Schadenssummen für Klagen im Wege der Verbandsklage attraktiv werden können und dadurch eine neue Klageindustrie entstehen könnte, die insbesondere Kleinstunternehmen und den Mittelstand in ihrer Existenz gefährden könnten.
Fabian Fechner, Miele AG, hob hervor, dass schon eine unvollständige Vorlage von Unterlagen im Prozess dazu führen könne, dass Unternehmen den Prozess allein aufgrund einer angenommenen Vermutung verlieren können, obwohl kein Produktfehler vorläge. Zudem bestehe die Gefahr, dass Kläger firmeninternen Unterlagen ausforschen und es sei fraglich , ob der Schutz der Geschäftsunterlagen in der Praxis funktioniere. Ferner gab er zu bedenken, dass die Verpflichtung zur permanenten Überwachung der Software und Updateverpflichtung, für die je nach Produkt unterschiedliche Fristen bestehen, die Unternehmen vor enorme und kostenintensive Herausforderungen stelle.
Thomas Klindt gab in der Diskussion noch zu bedenken, dass künftig auch eine fehlende Cyberresillienz zur Produkthaftung führen könne. Es sei unverständlich, einen rechtstreu handelnden Hersteller in die Haftung zu nehmen, wenn der Schaden durch einen vorsätzlichen Angriff unbekannter Dritter entstehe.