Exponate des BWA 2020
Inhalt
- Januar: Schnupftabak: Genuss für die Nase
- Februar: Registrierkassen: „Nicht ohne meine Quittung“
- März: „Feiner und vornehmer Geschmack“: das Haus Bernheimer
- April: Fürsorge und Vorsorge – Betriebliche Sozialeinrichtungen
- Mai: „Hier funkt Käppen Bidebux“: Historische Kinder-Kundenzeitschriften
- Juli: Von der Isar an den Nil: Das Amtliche Bayerische Reisebüro (abr)
- August: Der Verband Reisender Kaufleute
- September: Der Münchner Hauptbahnhof: Kathedrale des Fortschritts
- Oktober: Geschichte der Süddeutschen Zeitung: Beginn der demokratischen Presse in Bayern 1945
- November: Kintopp, Kintopp: Die Anfänge der Filmindustrie in Bayern
- Dezember: „Der Berg ruft“: Der Salvator auf dem Nockherberg
Schnupftabak: Genuss für die Nase
"Wann i an Schmai hätt..." - das Bayerische Wirtschaftsarchiv zeichnet die Geschichte des Schnupftabaks nach, ein heute nicht mehr allzu gebräuchliches Genussmittel. Und das auch damals nur geographisch begrenzt auf Anklang stieß: Der Versuch der Schnupftabak-Firma Bernard, jenseits des Ärmelkanals Fuß zu fassen scheiterte.
Kann man sich vorstellen, wie die feurige Zigeunerin Carmen in der gleichnamigen Oper ihren späteren Liebhaber Don José mit einer Prise Schnupftabak umgarnt? Wohl eher nicht, und doch öffnete 1677 in Sevilla die erste Schnupftabakfabrik ihre Pforten. Zunächst ein Wundermittel gegen Kopfschmerzen, Zahnweh und Husten, trat das delikate Niespulver seinen Siegeszug in Europa an.
In Deutschland entstanden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die ersten Fabriken. 1733 gründete Johann Nikolaus Bernard im hessischen Offenbach seine Schnupftabakfabrik, die von Anfang an florierte. Die wohlhabenden Bernards und die angeheirateten d’Orvilles pflegten die Bekanntschaft mit dem Geheimrat Goethe und liebten die Musik. Aus Zollgründen entstand 1812 im bayerischen Regensburg eine Zweigfabrik.
Ein echter Verkaufsschlager wurde der „Schmalzlerfranzl“: ein geriebener Brasiltabak, der 1894 als Warenzeichen eingetragen wurde und damit zu den ältesten deutschen Markenartikeln gehört. Die Bezeichnung „Schmalzler“ ist nicht zufällig. Der „Schmai“ wurde tatsächlich mit Fett angemacht und in einem geheimen Verfahren aromatisiert. Heute produziert die Schnupftabakfabrik ihre Traditionsmarken wie „gekachelter Virginie“ oder „Original Schmalzlerfranzl“ in Sinzing. Vielleicht hatte der junge Kaufmann Alois Pöschl auch Bernard-Schnupftabake im Sortiment, wenn er als Verkäufer in ganz Bayern unterwegs war. 1902 eröffnete er seine eigene Brasiltabakfabrik. Heute gilt das in vierter Generation geführte Familienunternehmen mit Sitz in Geisenhausen bei Landshut als weltweit größter Produzent von Schnupftabak.
Der Archivbestand der Schnupftabakfabrik Gebr. Bernard im Bayerischen Wirtschaftsarchiv gibt Einblick in ein heute eher weniger bekanntes Kapitel der Genussmittelfabrikation. Ende des 18. Jahrhunderts versuchte Bernard mit einer Niederlassung jenseits des Ärmelkanals Fuß zu fassen. Doch das englische Abenteuer scheiterte, und in der Folge hatte das Unternehmen mit verärgerten Anlegern zu tun.
Registrierkassen: „Nicht ohne meine Quittung“
Große Aufregung herrscht über die Pflicht, Kassenbons zu drucken. Die Herstellung von Registrierkassen hat in Bayern Tradition, wie die Geschichte von NCR in Augsburg beweist.
Seit 1. Januar muss bei jedem Ladenverkauf ein Kassenbeleg erstellt werden, schreibt das neue Kassengesetz vor. Der neue Quittungszwang gilt für alle Geschäfte mit elektronischer Kasse. Bereits 1902 brachte der US-amerikanische Hersteller NCR Company (National Cash Register) aus Dayton/Ohio, seit 1896 in Berlin mit einer Niederlassung vertreten, erstmals eine Kasse mit Bondruck heraus. 1906 folgte das erste elektrische Modell.
Allerdings mussten die Kaufleute von der Möglichkeit einer rationellen Geldkontrolle erst überzeugt werden. Neuartige Absatzstrategien ließen NCR zu einem der Marktführer aufsteigen. Der Erfolg beruhte nicht allein auf dem technischen Vorsprung der Kassen, sondern vor allem auf den für damalige Verhältnisse modernen Vertriebsmethoden.
Nach dem Krieg wurde die deutsche Niederlassung 1947/48 von Berlin über Gunzenhausen nach Augsburg-Kriegshaber verlagert. Zu besten Zeiten arbeiteten auf dem Gelände der ehemaligen Michel-Werke 5.000 Beschäftigte, nach anderen Quellen waren sogar 7.000 Personen dort tätig. Die Bedeutung des Unternehmens war so groß, dass Augsburg 1964 eine Städtepartnerschaft mit Dayton einging.
Auch heute noch ist die Deutschlandzentrale von NCR der schwäbischen Metropole treu geblieben. Allerdings hat sie sich zum Software-und Serviceunternehmen im Bereich der Technologien für Kundentransaktionen entwickelt.
Wie aus dem bei uns verwahrten Archiv hervorgeht, wies NCR nachdrücklich potentielle Kunden auf den Vorteil des Quittungsdrucks der Registrierkassen hin. Auf diese Weise könne der Geschäftsinhaber immer beweisen, dass es bei der Zahlung mit richtigen Dingen zugegangen sei. Dadurch werde es auch möglich, betrügerische Angestellte oder Boten besser zu kontrollieren.
„Feiner und vornehmer Geschmack“: das Haus Bernheimer
1864 wurde das Haus Bernheimer in München gegründet: Anfangs mit Stoffen für die modebewusste Dame, entwickelte sich das Unternehmen zum angesagten Ausstatter für die Prominenz. Das Bayerische Wirtschaftsarchiv zeichnet die Geschichte des Unternehmens nach.
1864 gründete der aus dem württembergischen Buttenheim stammende Kaufmann Lehmann Bernheimer mit 22 Jahren sein eigenes Geschäft in der Münchner Kaufingerstraße. Die modebewusste Münchnerin fand dort ein reichhaltiges Angebot von Seidenstoffen, Schnittwaren und Schals. Bald kamen auch Möbelstoffe und Teppiche dazu, denen die Modewaren nach und nach Platz machen mussten. Vor allem kostbare Importe aus Japan und China trugen zum Aufschwung des Unternehmens bei.
Da die Räumlichkeiten nicht mehr genügten, kaufte Lehmann Bernheimer, seit 1888 königlich bayerischer Kommerzienrat, das Englische Café am heutigen Lenbachplatz. Der damalige „Stararchitekt“, Friedrich von Thiersch, errichtete dort einen imposanten Neubau mit neobarocker Fassade und einem weithin sichtbaren, spitz zulaufenden Zwiebeltürmchen.
1987 ging die Ära Bernheimer am Lenbachplatz zu Ende. Konrad O. Bernheimer wandte sich dem Kunsthandel zu, für den das Palais zu groß war. Lange Zeit war das Archiv auf Burg Marquartstein untergebracht, bis es 2016 an das Bayerische Wirtschaftsarchiv ging.
Fürsorge und Vorsorge – Betriebliche Sozialeinrichtungen
Die soziale Absicherung ist im Zuge der Corona-Krise in den Fokus gerückt. Sie hat jedoch in Deutschland Tradition, wie das Bayerische Wirtschaftsarchiv mit seinen Exponaten zeigt.
Der Ausbruch des Corona-Virus hat auch für Berufstätige massive Folgen. Wie steht es mit der Lohnfortzahlung bei einer Quarantäne, wie sieht es mit der Krankschreibung aus und ähnliches mehr. Glücklicherweise sind die Deutschen in aller Regel gut abgesichert.
Bereits vor der Bismarckschen Sozialversicherung 1884 wurden schon im 18. Jahrhundert erste Betriebskrankenkassen gegründet, um Arbeiter und ihre Familien im Fall von Krankheit oder bei Unfällen zu unterstützen. Die heute älteste Einrichtung dieser Art in Bayern wurde 1844 von dem fränkischen Fabrikanten Lothar von Faber für seine Bleistiftfabrik ins Leben gerufen. 1866 trat Dr. Carl Knaps bei der BASF in Ludwigshafen – seinerzeit noch dem Königreich Bayern zugehörig – als erster Werksarzt in Deutschland seinen Dienst an. In Berlin begann 1913 das Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie mit seiner Tätigkeit und setzte sich schon damals auch mit Fragen von Ermüdung und körperlicher Leistungsfähigkeit auseinander. Im Freistaat Bayern nahm das erste Institut für Arbeitsmedizin unter Leitung von Franz Koelsch 1921 in München den Betrieb auf.
Die Baumwollspinnerei im oberbayerischen Kolbermoor gründete 1862 nicht nur einen Unterstützungsverein, sondern ließ 1892 sogar ein eigenes Krankenhaus errichten. Die Thematik der betrieblichen Sozialeinrichtungen ist in unseren Archivbeständen gut dokumentiert.
„Hier funkt Käppen Bidebux“: Historische Kinder-Kundenzeitschriften
Kindermagazine sind keine neue Entwicklung: Bereits in den 1930er Jahren waren welche am Markt. Dabei hatte die Zeitschrift "Dideldum" schon einiges im Portfolio, was auch heutige Kindermagazine gerne drucken.
Sie heißen „medizini“, „YUMMI“, „kinatschu“ oder „Bimbo“: bunte Kinderzeitschriften mit Comics, Sachinfos, Mitmachideen und schönen Fotos. Als vermutlich erstes Magazin für junge Leser in Deutschland erschien bereits 1772 das „Leipziger Wochenblatt für Kinder“ zum Preis von 6 Pfennig und enthielt Märchen, Rätsel und Lehrgedichte.
Zu den originellsten und erfolgreichsten Heften der Zwischenkriegszeit gehörte die Comiczeitschrift „Dideldum“, die der Illustrator und Autor Otto Waffenschmied (1901-1971) gestaltete. Der gebürtige Wiener hatte in seiner Heimatstadt die Kunstgewerbeschule absolviert. Nach einem Aufenthalt in Dänemark ließ er sich in Hamburg nieder und gab von dort aus ab 1929 „die lustige Kinderzeitung“ heraus. Das Kindermagazin konnte beim Verlag abonniert werden und war im Zeitschriftenhandel erhältlich.
Aber auch Kaufhäuser, Bekleidungs- und Schuhgeschäfte verteilten die farbigen Blätter gerne als Zugabe und nutzten so die Möglichkeit zur Kundenbindung. Größter Abnehmer war dabei das Haus Karstadt. Doch auch die Münchner Kinder mussten nicht auf die beliebten Geschichten von Max und Miki oder die Abenteuer von Käppen Bidebux verzichten. „Dideldum-Hefte“ gab es kostenlos beim Kaufhaus Oberpollinger.
Aber auch andere Comiczeitschriften fanden ihre begeistere Leserschaft. Das Kaufhaus Hertie verteilte zweimal im Monat die Zeitschrift „Schmetterling“. Das Schuhhaus Novak oder das Kaufhaus Horn hielten dagegen das Magazin „Kiebitz“ für die kleine Kundschaft bereit.
Otto Waffenschmied, konnte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr an den früheren Erfolg anknüpfen. Auch die anderen Kinderzeitschriften sind vermutlich nicht mehr aufgelegt worden. Das Bayerische Wirtschaftsarchiv übernahm vor kurzem eine ganze Reihe dieser bunten Kindermagazin-Raritäten aus den 1930er Jahren.
Von der Isar an den Nil: Das Amtliche Bayerische Reisebüro (abr)
Im Juli 1910 wurde das erste bayerische Reisebüro, das Amtliche Bayerische Reisebüro (abr) gegründet. Schon lange nicht mehr selbständig, hat es doch Geschichte geschrieben - beispielsweise mit Reisen an die Quellen des Nils. Damals eine Sensation, heute in Corona-Zeiten annähernd ein Ding der Unmöglichkeit.
Frühzeitig hatte man im Königlich Bayerischen Verkehrsministerium erkannt, dass sich ein gut geführtes Reisebüro „belebend und befruchtend auf den Personenverkehr, namentlich auf den Auslandsverkehr“ auswirken müsse. Vor 110 Jahren – am 15. Juli 1910 – wurde in München das „Bayerische Reisebüro“ als erste Einrichtung dieser Art in Deutschland gegründet. Zu den Gesellschaftern gehörte neben der Königlichen Staatsbahnverwaltung, der Bayerischen Handelsbank und dem Norddeutschen Lloyd auch das Londoner Weltreiseunternehmen Thomas Cook, das für die internationalen Kontakte sorgen sollte.
Schon bald konnte man in München eine Reise buchen, die auf dem Nil bis Khartum und weiter mit einer Karawane zu seinen Quellen führte. Das abr wirkte aber auch bei der Organisation der Oberammergauer Passionsspiele mit, verkaufte Tickets und vermittelte Unterkünfte. Für die Zubringerdienste und Ausflugsfahrten erwarb es bei den Nürnberger Faun-Werken drei Omnibusse als Grundstock für die spätere eigene Autobusflotte.
Wichtiger Geschäftszweig war von Anfang an der Fahrkartenverkauf für die Bahn und die kostenlose Erteilung von Reiseauskünften, was auch durch den späteren Zusatz „Amtlich“ im Firmennamen zum Ausdruck kam. Überall in Bayern entstanden weitere Büros, die für einen kundennahen dezentralen Service sorgen sollten.
1996 endete die Eigenständigkeit des bayerischen Touristikunternehmens, als es in das Deutsche Reisebüro (DER) eingegliedert wurde. Heute ist es Bestandteil der REWE Group. Mit einer Vielzahl von Dokumenten und Fotos bewahrt das Bayerische Wirtschaftsarchiv die Erinnerung an das Wirken dieser für den Auf- und Ausbau des Fremdenverkehrs so wichtigen Gesellschaft.
Der Verband Reisender Kaufleute
Der Verband reisende Kaufleute VRKD hatte im Jahre 1919, 25 Jahre nach seiner Gründung, bereits 13.000 Mitglieder sowie ein Vermögen von 5 Millionen Mark. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der Verband nicht mehr an diese Zeiten anknüpfen. Das Bayerische Wirtschaftsarchiv zeichnet seine Geschichte nach.
Bis zu seiner Auflösung durch die Nationalsozialisten gehörte der Verband reisender Kaufleute Deutschlands (VRKD) zu den bedeutendsten berufsständischen Zusammenschlüssen des Kaiserreichs. 1884 fand in der Buchhändlerbörse zu Leipzig die Gründungsversammlung statt. Treibende Kraft war der Handelsreisende Romeo Julius Schröder. Zu den besonderen Anliegen der Vereinsgründung zählten die finanzielle Vorsorge für Krankheit und Alter sowie die Absicherung der Familie im Todesfall und der kostenlose Rechtsschutz. Bereits 1885 hatte der VRKD 1.073 Mitglieder und umfasste acht Sektionen. Sprachrohr wurde „Die Post reisender Kaufleute“, die ab 1891 regelmäßig erschien. Breiten Raum nahmen in dieser Zeitschrift Stellengesuche und -angebote ein. Das Selbstbewusstsein des Verbands fand auch im gesellschaftlichen Bereich seinen Ausdruck. Herrenabende, Karnevalsfeiern und Stiftungsfeste gehörten in den einzelnen Sektionen zum festen Bestandteil des Verbandslebens. Wie die noch erhaltenen Menükarten zeigen, wussten die Handlungsreisenden gut zu speisen. Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums konnte der VRKD eine stolze Bilanz präsentieren: fast 13.000 Mitglieder und ein stattliches Vermögen von über fünf Millionen Mark. Die Sektionen reichten von Bremen bis München. Mit einem Mitgliederstand von rund 30.000 Handlungsreisenden erreichte der VRKD Anfang der 1930er Jahre seinen Höhepunkt. Nach Kriegsende fand die Wiedergründung 1946 in Düsseldorf statt. Doch konnte der VRKD nicht mehr an seine ursprüngliche Bedeutung anknüpfen. Schließlich wurde die Verbandsarbeit nur noch auf ehrenamtlicher Grundlage von München aus betrieben.
Die Überlieferung des VRKD im Bayerischen Wirtschaftsarchiv ist seltenes Zeugnis eines weitgehend unbekannten Berufsstands, der wie kaum ein anderer als Meinungsbildner gewirkt hat. Zu den besonderen Erinnerungsstücken aus der Glanzzeit des Verbands zählen die Ehrenabzeichen für langjährige Mitgliedschaft.
Der Münchner Hauptbahnhof: Kathedrale des Fortschritts
Der Münchner Hauptbahnhof ist aktuell eine Großbaustelle. Das Bayerische Wirtschaftsarchiv zeichnet nach, dass dies im Laufe seiner 181jährigen Geschichte immer wieder Fall war.
„Selbst der Münchner Hauptbahnhof, 15 Jahre lang eine aufgeräumte Bombenruine, glänzt plötzlich mit Glasbedachung, asymmetrischem Vordach und Deutschlands größter - im Beisein von Kongressklerikern eröffneter Wechselstube“ schrieb das Hamburger Magazin „Der Spiegel“ vor 60 Jahren. Pünktlich zum 37. Internationalen Eucharistischen Weltkongress in München 1960 war das neue Empfangsgebäude des Münchner Hauptbahnhofs vollendet worden.
Die Anfänge waren bescheiden gewesen. Als am 1. September 1839 die erste Teilstrecke der München-Augsburger Eisenbahnlinie nach Lochhausen unter dem Jubel der Zuschauer feierlich eröffnet wurde, war das Münchner „Stationsgebäude“ noch ein schlichter Holzbau auf dem Marsfeld in der Nähe der heutigen Hackerbrücke. 1847 vernichtete ein Großfeuer das Provisorium.
Den Auftrag für den Neubau erhielt der aus Burk im Landkreis Dinkelsbühl stammende junge Architekt Friedrich Bürklein. Er errichtete auf der alten Schießstätte der Kgl. Privilegierten Hauptschützengesellschaft ein dreigliedriges Gebäudeensemble, für das Max von Pettenkofer eigens eine Holzgasbeleuchtung entwickelte. Zu den viel bestaunten modernen Errungenschaften gehörten eine Warmwasserheizung und eine große Schlaguhr mit zentralem Antrieb für mehrere Zifferblätter.
Doch diese Anlage wurde mit dem umfangreichen Bahnstreckenausbau der Folgejahre zu klein. Großangelegte Umbaumaßnahmen der Jahre 1876 bis 1884 sollten Abhilfe schaffen. Mit dem eindrucksvollen Betriebshauptgebäude im Renaissancestil und der gewaltigen vierschiffigen Gleishalle galt der Münchner „Centralbahnhof“ gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Inbegriff des modernen deutschen Großstadtbahnhofs.
Ehrgeizige Pläne für den Hauptbahnhof, wie er seit 1904 hieß, hatten die Nationalsozialisten. Adolf Hitler wollte einen gigantischen Kuppelbau mit einem Durchmesser von 265 Metern. Über das Planungsstadium kamen die Entwürfe nicht hinaus. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Bahnhof von Bomben schwer getroffen.
Doch Ende Juli 1945 konnten schon wieder fast 130 Züge täglich abgefertigt werden. 1953 wurde die Schalterhallte eröffnet. Zwei Jahre später begannen dann die Bauarbeiten am 174 Meter langen und 21 Meter hohen Bahnhofskomplex in „beherrschender hellgrüner Farbgebung“.
Heute ist der Neubau des Bahnhofs Geschichte. An seiner Stelle entsteht das Zugangsbauwerk zum unterirdischen Bahnhof der neuen S-Bahn-Stammstrecke. Im Bayerischen Wirtschaftsarchiv dokumentiert eine Vielzahl bildlicher Quellen die Stationen der Bahnhofsgeschichte
Geschichte der Süddeutschen Zeitung: Beginn der demokratischen Presse in Bayern 1945
Auf schmaler Plattform mit geringen Mitteln: So startete die Süddeutsche Zeitung am 6. Oktober 1945 in München. Der Umfang: 8 Seiten. Die Auflage: 357.000 am ersten Erscheinungstag. Das Bayerische Wirtschaftsarchiv zeichnet den Beginn der demokratischen Presse in Bayern 1945 nach.
Nur acht Seiten hatte die Süddeutsche Zeitung an ihrem ersten Erscheinungstag am 6. Oktober 1945. In einer Feierstunde im Neuen Rathaus überreichte der Chef der Nachrichtenkontrollstelle in Bayern der amerikanischen Militärregierung, Oberst Bernard B. McMahon, die erste Lizenz für eine demokratische Presse in Bayern. Die Empfänger waren Edmund Goldschagg, Franz Josef Schöningh und August Schwingenstein.
Anschließend ging es im Autokorso durch die zerstörte Innenstadt zum Verlagshaus der ehemaligen Münchner Neuesten Nachrichten am Färbergraben. Hektisch hatte die Verlagsleitung zur Dekoration nach weißblauen Fahnen „jeder Art“ suchen lassen, um den „altbayerischen Charakter des Unternehmens“ wieder in Erscheinung zu bringen. Die Schauspielerin Adele Hoffmann vom Volkstheater überreichte als Münchner Kindl dem amerikanischen Oberst feierlich einen Maßkrug mit Bier und sprach dazu einen Festgruß aus der Feder des bekannten Münchner Dichters Hermann Roth.
Für den Druck der ersten Ausgabe der Süddeutschen Zeitung wurde der Originalsatz von Hitlers „Mein Kampf“ und die letzten Platten des „Völkischen Beobachters“ eingeschmolzen. Die Rotationsmaschinen spuckten eine Auflage von 357.000 Exemplaren aus. Aus Papiermangel erschien das Blatt zunächst nur zweimal, später dreimal wöchentlich, und zwar zu einem Preis von 20 Pfennig. Der Name der neuen Zeitung ging auf den Journalisten Wilhelm Hausenstein zurück, der aus Altersgründen auf eine Mitwirkung als Herausgeber verzichtet hatte. Am 2. August 1946 kam der Lokalredakteur Werner Friedmann als vierter „Newspaper publisher“ dazu.
Mit dem Nachlass der Verlegerfamilie Schwingenstein verwahrt das Bayerische Wirtschaftsarchiv einen überaus seltenen und wertvollen Archivbestand zur bayerischen Pressegeschichte. Aber auch die Mittelbayerische Zeitung in Regensburg, für die der Sozialdemokrat Karl Friedrich Esser gute zwei Wochen später die Lizenz der Amerikaner erhielt, ist im BWA umfassend dokumentiert.
Kintopp, Kintopp: Die Anfänge der Filmindustrie in Bayern
Gerade herrscht für Kinos eine sehr traurige Zeit: Am 2. November 2020 müssen sie für voraussichtlich einen Monat schließen. Umso wichtiger, dass das Bayerische Wirtschaftsarchiv auf die glorreiche Zeit Münchens als Kinometropole zurückblickt.
In Zeiten von Corona kaum noch zu glauben, aber Ende der 1990er Jahre zählten die Münchner zu den fleißigsten Kinogängern Deutschlands, wie damals eine Studie des FilmFernsehFonds Bayern herausfand. Bereits 1897 öffnete in der Königlichen Haupt- und Residenzstadt das erste Kino. Der vielseitige Unternehmer Carl Gabriel zeigte damals in seinem Panoptikum in der Neuhauser Straße die ersten bewegten Bilder, freilich noch ohne Ton und Farbe.
Zehn Jahre später gab es schon 6 Kinos und 1914 beherbergte München bereits 40 Lichtspieltheater. Die Industrie- und Handelskammer München hielt damals fest: „Es sind in Bayern ca. 10 Millionen in Kinos investiert, und es werden ca. 1500 Personen beschäftigt.“ Der Kunstfotograf Peter Ostermayr gründete 1907 die erste bayerische Filmproduktionsfirma.
Noch vor dem Ersten Weltkrieg brachte er das Stummfilmdrama „Die Wahrheit“ in drei Akten heraus. 1919 errichtete er in Geiselgasteig bei München das seinerzeit modernste Glasatelier Deutschlands. Große Glasflächen waren notwendig, da man damals bei Filmaufnahmen auf natürliches Licht angewiesen war. Außerdem gab es einen riesigen Dekorationsraum, große Garderobenräume, eine Kopieranstalt, ein photochemisches Laboratorium und eine weitläufige Filmstadt für Außenaufnahmen.
1920 – vor 100 Jahren - konnte der erste Film in Geiselgasteig fertiggestellt werden: „Der Ochsenkrieg“ nach dem Roman von Ludwig Ganghofer. Regie führte Peter Ostermayrs Bruder Franz, der für sich den Künstlernamen Osten wählte. Er ging wenige Jahre später nach Indien und schuf dort das Fundament für „Bollywood“. Insofern könnte das „B“ in der Bezeichnung für die indische Filmindustrie nicht allein auf Bombay anspielen, sondern auch dezent die Verbindungslinien nach Bayern andeuten.
„Der Berg ruft“: Der Salvator auf dem Nockherberg
Erst illegal, dann Kult - die Geschichte des Starkbiers und des Nockherbergs zeichnet Richard Winkler nach. Ursprünglich war der Ausschank des süffigen Biers illegal. Den offiziellen Segen bekam er bereits 1837 durch König Ludwig I.
Ein kleiner Weg in Münchens Stadtteil Au-Haidhausen erinnert heute noch an ihn, den Brauer Franz Xaver Zacherl (1772-1849). 1806 pachtete er die ehemalige Brauerei der Paulanermönche und kaufte sie schließlich. Der geschäftstüchtige Bräu knüpfte an die klösterliche Starkbiertradition an und schenkte mit großem Erfolg den hochprozentigen Gerstensaft aus, zunächst in der Brauerei selbst, danach im Neudecker Garten und seit 1861 auf dem Nockherberg.
Dr. Richard Winkler, stv. Leiter des Bayerischen Wirtschaftsarchivs, erzählt in seinem neuen Buch „Der Salvator auf dem Nockherberg“ die Geschichte des weltberühmten Starkbieres, des damit verbundenen Salvatorfestes und der Salvatorprobe von den Anfängen bis zur Gegenwart. Zacherl beglückte zunächst illegal die durstigen Münchner mit dem starken Hopfengetränk. Doch das Verbot ließ sich auf Dauer nicht halten. 1837 erteilte König Ludwig I. höchstselbst die Genehmigung für den Ausschank, elf Jahre später galt die Erlaubnis dann in ganz Bayern.
Zacherls Erben sorgten dafür, dass der Salvator auf Dauer das bekannteste Starkbier Bayerns blieb. 1896 sicherte sich die Paulanerbrauerei das exklusive Recht an der Marke. Bis heute markiert der Salvatoranstich den Auftakt zur „fünften Jahreszeit“ in Bayern. Wie Richard Winkler ermittelte, reicht die von der Paulanerbrauerei inszenierte Salvatorprobe in ihren Ursprüngen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg entfaltete sie hohes kabarettistisches Format. Fast drei Millionen Fernsehzuschauer verfolgen alljährlich die Live-Übertragung auf dem Nockherberg.
2016 haben wir die historische Überlieferung der Paulanerbrauerei übernommen. Dr. Richard Winkler hat diesen wertvollen Quellenfundus bewertet und inhaltlich erschlossen. Für den neuen Band in unserer Schriftenreihe spürte er darüber hinaus eine Vielzahl bislang unbekannter Quellen im Stadtarchiv München und den bayerischen Staatsarchiven auf.