Jule Bosch: "Wir brauchen Lust auf Wandel!"
Zukunftsforscherin Jule Bosch, erklärt im Interview, warum Nachhaltigkeitsdebatten nichts mehr bringen - und nur noch gemeinsames Handeln zählt.
„Gemeinsam Zukunft gestalten“ – das klang noch ganz gediegen. Unter diesem Titel stand ihre Keynote für den 10. Bayerischen CSR-Tag bei der IHK. Ihre Aufgabe war klar: Schwung in die Veranstaltung bringen. Das bekam Jule Bosch, Zukunftsforscherin & Innovationsberaterin, Autorin und Gründerin des Biodiversity Startups Holycrab, ziemlich gut hin.
Nach dem Eröffnungstalk mit dem IHK-Präsidenten Klaus Josef Lutz und dem Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder stieg Jule Bosch auf die Bühne – und schon ihr eigener Slogan „What the Fuck?!“ wirkte in diesem Kontext, nun ja, irgendwie disruptiv. Bosch brachte Bewegung in die Zuschauerreihen im IHK-Atrium. Sie ließ die Teilnehmer Zettel an die Wand kleben und die Sitzplätze tauschen, um einen „Perspektivenwechsel“ zu ermöglichen.
Von dem Ergebnis ihres Experiments „wer den anderen Zettel am höchsten an die Wand klebt, bekommt dieses Buch“ war sie selbst überrascht. Da bildeten einige Teilnehmer Räuberleitern – so viel Kreativität und Spontanität wird gebraucht in diesen Krisentagen.
In der Mittagspause der Veranstaltung war Jule Bosch als Gesprächspartnerin so gefragt, dass sie das Interview mit IHK-Redakteur Martin Armbruster mehrmals verschieben musste. Erst als die Teilnehmer in die Fachforen strömten, hatte die Zukunftsforscherin Zeit, ihre Botschaft im Interview zu vermitteln: Nur gemeinsam können wir für den Wandel sorgen.
What the Fuck, um an Deinen Vortrag anzuknüpfen, wie konnte uns das passieren? Wir spüren schon die Folgen der Klimakatastrophe, und die CO2-Emissionen steigen weiter. Was läuft da falsch?
Puuh. Ich glaube, eine Antwort ist, dass wir dazu tendieren, nur Dinge zu erzählen und hören zu wollen, die schön und gut klingen. Ich habe das schon vorhin in meinem Vortrag erwähnt. Man drückt sich vor der Verantwortung, vor der wirklichen Veränderung. Wenn man Unternehmen fragt, warum sie sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen, kommt als erstes die Antwort: Das hat mit unserem Image zu tun.
Das schöne Reden hat uns nirgendwo hingeführt.
Ein gutes Image aufzubauen, ist doch an sich vernünftig.
Mir ist das zu kurzsichtig gedacht. Man verschenkt das große Potenzial, das in einem wirklichen Wandel steckt. Klar, es ist anstrengend, sich zu verändern. Da kämpft man gegen den Widerstand der Lobby-Gruppen, die dagegenhalten. Eigentlich wollen wir alle den Wandel - nur eben ohne Anstrengung und Konflikte. Heute stehen wir an dem Punkt, an dem wir erkennen: Das schöne Reden hat uns nirgendwo hingeführt. Jetzt müssen wir tatsächlich etwas machen.
Die politische Botschaft ist aber eine andere. Das haben die Debatten um Billig-Flüge, Fleisch-Konsum, Tempo-Limit und jetzt Gas gezeigt. Tenor ist immer: bloß keine Einschränkung, nur kein Verzicht.
Ja, das klingt eben gut. Versüßt wird das noch durch die Botschaft, wir sind ja schon so toll, wir machen doch schon so wahnsinnig viel. Das haben wir doch vorhin auf dem Podium so gehört: Bayern, besser geht es einfach nicht!
Was könnte Deiner Meinung nach die Selbstlähmung beenden?
Wir brauchen Lust auf Wandel! Es wäre Aufgabe der Politik diese herzustellen. Die Mondlandung hat gezeigt, was möglich ist, wenn man ein großes Ziel unbedingt erreichen will. Wir haben die Technologie entwickelt und weiter optimiert, um letztendlich etwas zu tun, was eigentlich unmöglich war. Was optimistisch stimmt: Heute auf dem CSR-Tag sitzt auch ein Herr Söder, der zumindest den Anschein erweckt, dass er erkannt hat, worum es geht und für Aufbruchsstimmung wirbt.
Wer einen Trend verschläft, ist raus.
Was passiert, wenn das wieder verpufft? Wenn der CO2-Ausstoß des Straßenverkehrs weiter steigt?
Das ist ganz einfach. Innovationen entstehen dann woanders. Dann machen sich andere Nationen Gedanken darüber, wie man nachhaltige Mobilität organisiert. Dann stehen wir dumm da. Das große Thema ist heute Disruption, ein radikaler Umbruch quasi über Nacht. Wer einen Trend verschläft, ist raus. Das ist einfach so.
Du hast vorhin gefordert, wir müssten Schluss machen mit dem linearen Denken. Was ist damit gemeint?
Das ist der Moment, in dem wir sagen: Wenn wir das, was gerade auch im Schlechten passiert, 20 Jahre weiterdenken, haben wir die neue Realität. Lineares Denken bedeutet, ich kann genau vorausplanen, was dann sein wird und kann die entsprechenden Weichen stellen. Ich weiß genau, wie die Welt 2030 aussieht. Dafür mache ich einen Master-Plan, und dann wird das so.
Genau das wird doch von der Politik gefordert, über den Tag hinaus zu denken.
Lineares Denken zieht aber nicht in Betracht, wie komplex die Dinge sind. Dieses Denken macht uns blind für das, was wirklich passiert, weil sich die Welt auf sehr komplexe Art und Weise verändert. Es passieren Dinge, die unvorhergesehen sind oder sich aus Zufällen heraus entwickeln. Niemand weiß, wie die Welt in zehn Jahren aussieht, weil da so viele Aspekte mit reinspielen, die wir heute einfach nicht sehen können.
Schuld sind immer die anderen.
Und deshalb handeln wir nicht oder zu spät.
Ja, weil dahinter auch eine Schuld-Zuweisung steckt. Vorhin in der Diskussion fand ich das ganz schön krass. Da hieß es, „der Inder“ und „der Chinese“ machen irgendetwas falsch. In dem Moment suggeriere ich, dass ich den Master-Plan habe, und nur ich weiß, wie es geht. Schuld sind immer die anderen, die CDU oder die SPD. So kann ich das Thema von mir wegschieben. In dem Moment, in dem ich akzeptiere, dass sich die Welt auf eine komplexe und unvorhersehbare Weise entwickelt, muss ich anerkennen: Ich bin selbst verantwortlich. So wie alle anderen auch.
Deshalb forderst Du von uns, aktiv zu werden, egal welche Rolle man hat.
Ja, es geht um Berufsaktivismus.
Jetzt interviewe ich Dich. Wäre es für das Weltklima nicht besser, wenn ich mich stattdessen auf eine Münchner Straße kleben würde?
Das frage ich Dich. Du musst Dir überlegen, was Du machen könntest. Bist Du Journalist?
Ich hoffe, ja.
Wenn Du Dich als jemand begreifst, der Geschichten weitererzählt, also über Dinge schreibst, die tatsächlich passieren, bist Du jemand, der die Transformation über die Kommunikation vorantreiben kann.
Dann gibt es ja noch Hoffnung. Warum sind die Medien so wichtig?
Wir haben einen extremen Negatitivitäts-Bias. Wir Menschen reagieren stark auf Dinge, die negativ sind. Es gibt da so eine schöne Geschichte vom Boston-Marathon, als es 2013 dieses Attentat gab. Die Menschen, die das nur in den Medien verfolgt haben, hatten danach ein größeres Unsicherheitsgefühl als diejenigen, die tatsächlich beim Lauf dabei waren.
Was erwartest Du von mir als Journalisten?
Die Darstellung der Medien ist negativer als das, was tatsächlich passiert. Als Journalist hast Du dann die Aufgabe, mindestens die Realität abzubilden, wenn nicht sogar ganz konstruktiv zu zeigen: Wir können hier etwas machen, da was verbessern, und schaut mal - das geht sogar schon!
Jeder hat Spielräume.
Dann ist mein Dasein doch nicht komplett sinnlos.
Hast Du das gedacht (lacht)? Jeder hat Spielräume. Stelle Dir bitte mal vor, Du bist Verkäufer in einer Drogerie. Auch da hast Du Hebel zur Veränderung. Du kannst den Kunden nachhaltigere Parfums oder so etwas empfehlen. Du kannst die Bio-Sachen aus dem Sortiment hervorheben. Das ist alles sofort möglich.
Im IHK-Atrium waren heute schöne Bilder zu sehen. Frankfurt, Hamburg, München und Berlin – voll begrünt und ohne Autos. Wie wichtig sind solche Utopien für den Wandel einer Gesellschaft?
Das ist ein weiterer, wichtiger Punkt. Es reicht nicht, nur Ziele zu formulieren. Für Veränderung braucht es klar positive Ziele, überambitionierte eigentlich. Visualisierungen können auf jeden Fall helfen, das anfassbarer zu machen, sich Innovationen anzugucken, die die Probleme lösen, die wir gerade haben.
Und wenn wir keine Innovationen zustande bringen?
Für jedes ökologische und unternehmerische Problem gibt es Lösungsansätze. Wenn man die bei uns nicht findet, muss man den Radius erweitern, sich anschauen, was in den USA oder in China läuft und so weiter. Und man muss sich bewusst machen, dass wir diese Negativ-Bias in uns tragen.
Setzt Euch bitte ambitioniertere Ziele!
Wer Veränderung fordert, kassiert sofort den Einwand, das Ganze müsse realistisch sein. Wie soll man damit umgehen?
Ich sage: Setzt Euch bitte ambitioniertere Ziele! Wenn ich tief in mir drin glaube, dass das unrealistisch ist, dann werde ich nur auf Mittelmaß kommen. Wenn ich mir bewusst mache, dass ich diese ambitionierten Ziele brauche, damit ich auf kreative Art und Weise dahin komme, dann sind wir schon einen Schritt weiter.
Du plädierst für einen Perspektivenwechsel. Versuchen wir das mal mit einem Blick auf die Energiekrise. Könnte die den grünen Wandel nicht beschleunigen?
Das könnte sie, aber nur, wenn wir es schaffen, die Kohle- und Gaslobby so weit im Zaum zu halten, dass die in Deutschland nicht auch noch mit Fracking anfangen.
Mit Deiner Sprache und Deinen Aussagen hast Du Dich stark abgehoben von den Männern auf dem Podium. Liegt das daran, dass Du einfach jünger bist?
Es kann sein, dass Menschen, die älter sind und schon viele Krisen erlebt haben, großen Wert auf Sicherheit legen. Aber am Alter liegt es nicht. In meiner Beratungstätigkeit arbeite ich auch für Mittelständler auf der grünen Wiese. Da spreche ich mit Leuten, die sind jünger als ich. Die vertreten Standpunkte, bei denen ich mir denke: Boah, Du könntest auch 50 oder 60 sein.
Woran liegt es, dass selbst über einfache Dinge, wie Maske tragen oder sich impfen lassen, sich so verbissen gestritten wird?
Der entscheidende Punkt sind die Lebensrealitäten. Unsere Gesellschaft hat sich so stark in unterschiedliche Lebenswelten und Lebensstile zersplittert, dass da etwas Gemeinsames fast nicht mehr entstehen kann. Wir brauchen mehr Verständigung. Sprache ist dafür sehr wichtig.
Die Impulse müssen von allen ausgehen.
Heute wurde sehr viel über Transformation gesprochen. Wer soll denn nun für Veränderung sorgen?
Wir alle gemeinsam. Das ist der Punkt. Klar, kann die Politik, einen Master-Plan erstellen, machen muss es nur jemand anders. Deswegen mein Aufruf an alle: Jeder und jede gesellschaftliche Gruppe muss das vorantreiben. Die Impulse müssen von allen ausgehen – nur dann wird das Mega-Trends erzeugen. In dieser Sache ist es vielleicht gut, Leuten zuzuhören, die nicht so laut sind, die vom Klimawandel am meisten betroffen sind. Das ist das, was leider nicht sehr häufig passiert.
Bestätigt die heutige Weltlage nicht einen Post-Wachstums-Ökonomen wie Nico Paech, der grünes Wachstum für eine Illusion hält?
Da komme ich dann mit dem Realismus. Ich finde vieles großartig, was der Herr Paech so sagt. Ich würde das einordnen als Fortsetzung einer ewigen Wissenschaftsdebatte. Mal heißt der Trend Wachstum, dann gibt es wieder die Gegenbewegung, die Forderung nach weniger Wachstum.
Was wäre heute richtig – mehr oder weniger Wachstum?
Die tatsächliche Zukunft entsteht aus einem Mischmasch der beiden Pole. Ich halte es für entscheidend, dass wir Ressourcenverbrauch und Wirtschaftstätigkeit nicht nur an den richtigen Stellen voneinander trennen, sondern auch an anderer Stelle zusammenbringen. Wirtschaft oder Planet retten? Wir brauchen Geschäftsmodelle, für die das nicht mehr gilt. Für heutige Unternehmer muss gelten: Je mehr ich wachse, desto besser geht es dem Planeten.
Eine Unternehmerin sagte mir vorhin beim Kaffee, sie sei nicht sicher, was Du von Ihr erwartest.
Interessant. Ich gehe davon aus, dass Unternehmen, die in den jüngsten Jahren erfolgreich waren, sich ohnehin permanent verändert, verbessert und innovativ waren. Für die ist die heutige Transformation nicht anders als der Umbruch mit der Digitalisierung. Die Methoden sind die gleichen, das Mindset ist ähnlich. Der Unterschied ist nur: Heute haben wir eine Deadline, sonst ist es für den Klimaschutz zu spät. Das macht das Ganze so anstrengend.
Wird der CSR-Tag noch weitere Unternehmer zum Handeln motivieren?
Da müsstest Du jetzt eine Umfrage unter den Teilnehmerinnen machen, um rauszukriegen, was die mit den Botschaften anfangen konnten. Wenn ein Herr Söder auf dem Podium genau das tut, was man von ihm erwartet, dann wird sich nichts ändern. Wenn man Leute aufrüttelt, Dinge sagt, die sie nicht erwartet haben, kommt hoffentlich was bei rum. Frage doch die Leute mal danach. Ihre Meinung würde mich interessieren.
Ich schwanke zwischen Frustration und Tatendrang.
Ein Berliner Radiosender hat sich einen ganzen Tag lang mit der Frage beschäftigt: Ist der Planet noch zu retten? Wie ist Deine Meinung?
Ich schwanke persönlich immer zwischen massiver Frustration und Tatendrang und Optimismus. Da muss jeder den Hebel für sich selbst finden, um nicht in Passivität zu verfallen. Etwas tun, ist das Einzige, was wir machen können.
Deshalb führen wir auch dieses Interview.
Ja, genau. Weißt Du, was eigentlich Deine Jobbezeichnung ist? Du bist ein Häufigkeitsverdichter. Ja, der Begriff stammt von einem Historiker. Als Journalist verdichtest Du so zusagen die Häufigkeit positiver Impulse aus der Wirtschaft und Gesellschaft – und machst die der Öffentlichkeit zugänglich.
Dann haben wir hier einen positiven Impuls. Die IHK-Vollversammlung hat den Abbau klimaschädlicher Subventionen beschlossen.
Ah, sehr gut.
Da geht es um die ganzen Reizthemen: Schluss mit Steuersubventionen für Kerosin, Fernflüge, Massentierhaltung, Dienstwagen und so weiter.
Das ist auf jeden Fall ein wichtiger Impuls. Total. Ich weiß nur nicht, wie viel Wirkung es hat, wenn eine IHK das beschließt. Aber es zeigt zumindest, dass es da einen wichtigen Konsens gibt in der oberbayerischen Wirtschaft.
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