Eberhard Sasse: "Das Beste kommt noch"
Eberhard Sasse spricht über seine Zeit als IHK-Präsident, Unternehmertum und Gründe seiner Zuversicht.
Ein Tag, den man sich im Kalender anstreicht: Zum letzten Mal hat sich Eberhard Sasse im Münchner IHK-Stammhaus mit IHK-Redakteur Martin Armbruster zum Interview getroffen. Zum Ende dieser IHK-Wahlperiode beendet Sasse seine Amtszeit als ehrenamtlicher Präsident der IHK für München und Oberbayern. Er wird dann als 17. Präsident in die Annalen der 1843 gegründeten IHK eingehen.
Sasse zog Bilanz der knapp acht Jahre, in denen er sich in den Dienst der gemeinsamen Sache gestellt hat, wie er es nennt. Von Abschiedsstimmung war wenig zu spüren. Dafür strahlte der bald 70jährige das aus, was selten ist in Zeiten eines Dauer-Lockdowns, Pandemie-Frust, ersten Wahlkampf-Debatten und K-Fragen: Zuversicht und Gelassenheit.
Herr Sasse, ganz spontan: Wie war Ihre Amtszeit als IHK-Präsident?
Es war eine phantastische Zeit, für die ich dankbar bin.
Sie werden nun Teil der IHK-Ahnengalerie im IHK-Stammgebäude. Was empfinden Sie, wenn Sie auf Ihre Vorgänger blicken?
Respekt und Bewunderung. Da schaue ich auf knapp 180 Jahre Wirtschaftsgeschichte, da lese ich große Namen. Gleich ob Maffei als Gründungspräsident oder Rodenstock, Soltmann, Hipp oder Greipl als unmittelbare Vorgänger – das waren große Vorbilder, sie alle haben Bayerns Wirtschaft geprägt. Diese Erfahrungen und diese Tradition sind die Nährstoffe, die bis heute die IHK gedeihen lässt. Das gibt uns die Kraft, mit unseren Mitgliedern jetzt das Neuland zu betreten, das uns nach der Pandemie erwartet.
„Ewiger Kampf gegen Bürokratie und Steuern“
In Ihren jungen Unternehmerjahren waren Sie eher IHK-skeptisch. Was hat Sie zum Umdenken veranlasst?
Das stimmt, die Idee einer IHK als öffentlich-rechtliche Körperschaft war mir fremd. Aber wie Adenauer kann auch mich „niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden“. Im Gespräch mit dem damaligen Präsidenten Soltmann ist mir klar geworden: Wir Unternehmer führen einen ewigen Kampf gegen zu viel Bürokratie und zu hohe Steuern. Und genau dafür ist die IHK eine hochwirksame Plattform. Mit Überzeugung kann ich heute sagen: Er und andere Unternehmer, die mir Beispiel waren, hatten recht.
Was hat Sie motiviert, ein IHK-Ehrenamt zu übernehmen?
Auch meine Erfahrungen als Unternehmer. Ich bin Anfang der 70er Jahre als Student nach München gekommen. Ich habe hier promoviert und mich mit einer kleinen Gebäudereinigung selbstständig gemacht, die dann schnell gewachsen ist. Das war möglich, weil ich hier Gründer-Biotop und ideale Rahmenbedingungen vorgefunden habe. Es war für mich eine unternehmerische Entscheidung, im Gegenzug einen Teil meiner Zeit und meiner Fähigkeiten der IHK zu geben. Daran mitzuarbeiten, dass sie allen Unternehmern diese Rahmenbedingungen erhalten kann.
Wir müssen diese Bremsen lockern.
Haben sich diese Rahmenbedingungen verschlechtert?
Als Unternehmer spüre ich heute Hürden und Widerstände, die ich damals so nicht kannte. Das ist ein gefährlicher Prozess, weil er sich fast unmerklich und schleichend vollzieht. Jedes Jahr greifen die Bremsbacken ein bisschen mehr – der Prozess hat sich verselbstständigt. Das ist eine Form der Automatisierung, der ich als Unternehmer nichts abgewinnen kann. Darin sehe ich die große Aufgabe der IHK: Wir müssen diese Bremsen lockern und alles dafür tun, das Unternehmertum zu fördern.
Wollen das nicht auch Politik und Wirtschaftsverbände?
Der große Unterschied ist aber: Nur in der IHK ist die Gesamtheit der gewerblichen Unternehmer präsent. Vom Soloselbstständigen im Nebenerwerb bis zum globalen Konzern. Deshalb ist die IHK so eine phantastische Sache. Sie ist wirklich die Interessenvertretung der regionalen Wirtschaft in der ganzen Breite.
Für die Wirtschaft sprechen, das behaupten viele Organisationen.
Aber nur die IHK bildet die Textur unserer Wirtschaft tatsächlich ab. Sie vertritt ein „Gesamtinteresse“, wie es in §1 des IHK-Gesetzes definiert ist. Wir haben wenige Großunternehmen, dafür viele mittelständische Familienunternehmen in allen Größenordnungen. Darum beneidet uns die ganze Welt. Diese Familienunternehmer, ich bin ja selbst einer, sind ein starker Faktor unserer Arbeit im Präsidium, in den Ausschüssen und in der Vollversammlung.
Ticken Unternehmer anders als Politiker, Manager und Funktionäre?
Unternehmer rufen nicht zuerst nach Hilfe, sondern lösen Probleme umfassend und ohne Aufschub. Sie denken über den Tag hinaus, in Generationsfolgen. Das spiegelt sich in der IHK-Arbeit. Das schafft Standfestigkeit und gibt Orientierung, die wir nicht nur jetzt in einer schwierigen Phase brauchen.
Auf diese Leistung bin ich wirklich stolz.
Offensichtlich baut auch die Staatsregierung auf die IHK. Sie hat die IHK mit der Antragsbearbeitung für die Corona-Bundeshilfen beauftragt.
Ja, wir haben sofort zugesagt und dieses Vertrauen nicht enttäuscht. Bayern ist dank der IHK bundesweit Spitze bei der Auszahlung der Überbrückungshilfen. Dafür haben sich Ministerpräsident Söder und Wirtschaftsminister Aiwanger bei uns ausdrücklich bedankt. Auf diese Leistung all unserer Mitarbeiter bin ich richtig stolz, weil wir so über 200.000 bayerischen Firmen in einer Notlage unmittelbar helfen konnten.
Hatten Sie Zweifel, ob die IHK das stemmen kann?
Wir wussten, wir können das, weil wir schneller reagieren können als Behörden und wir super-engagierte Mitarbeiter haben. Zeit verspielt wurde aber in Berlin – mit Streit über Förderkriterien und Verspätungen für die Lieferung der Antragssoftware. Sobald diese Bremsen gelöst waren, hat die IHK als Bewilligungsstelle für ganz Bayern richtig Gas gegeben. Die IHK hat dafür gesorgt, dass bisher über 3,6 Milliarden Euro (Stand Mitte April, die Red.) an Selbstständige, Unternehmen und Einrichtungen im Freistaat geflossen sind. Das halte ich für eine großartige Zahl.
Sie haben leidenschaftlich für ein besseres Image der Ausbildung geworben. Haben sich da schon Erfolge eingestellt?
Zumindest ist das Thema Ausbildung wieder sichtbarer geworden. Gemeinsam mit der damaligen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner und dem jetzigen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger haben wir dafür die schlagkräftige Image-Kampagne „Ausbildung macht Elternstolz“ auf die Beine gestellt. Dafür haben wir im Fernsehen, im Radio und in Kinos Spots geschaltet, plakatiert und in den sozialen Medien kommuniziert.
Werden sich die Ausbildungszahlen nach Corona wieder erholen?
Davon bin ich überzeugt. Die Pandemie hat am Fachkräftemangel nichts geändert. Das Bewusstsein für den Wert der Ausbildung ist geweckt, das muss man nun weiter wachhalten. Unsere Aktionen sind keine Eintagsfliegen. Sie stehen exemplarisch für einen programmatischen Beitrag der IHK zur Existenzfähigkeit unserer Mitgliedsunternehmen.
Ich habe wunderbare Unternehmer kennengelernt.
Sie haben als IHK-Präsident große Momente erlebt – ein IHK-Event auf der Zugspitze, die Sanierung des IHK-Stammhauses, der 175-Jahre-IHK- Empfang mit Wolfgang Schäuble. An was erinnern sich besonders gerne?
An dem Punkt will ich einfach nur ein großes Dankeschön sagen an die Mitglieder der Vollversammlung und meiner Mitstreiter im Präsidium. Ich habe da leidenschaftliche, tatkräftige Unternehmer kennengelernt, tiefe Gespräche gehabt. Das hat mir das Bewusstsein gebracht, wie sehr sich das Kämpfen für das Unternehmertum lohnt.
Welche neue Erkenntnis haben Sie in Ihrem Amt gewonnen?
Wie wichtig ein schlagkräftiges Hauptamt für die IHK ist. Da bedanke ich mich bei meinen Wegebegleitern, dem Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl und seinen Vorgänger Peter Driessen. Die Namen stehen für das gesamte IHK-Team, das die Selbstorganisation der Wirtschaft erst möglich macht.
Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Das Engagement der 400 IHK-Mitarbeiter. Sie finden in der IHK keine Menschen, die nur einfach nur ihren Job machen. Ich habe nur Menschen kennengelernt, die für ihre Aufgabe begeistert sind. Sie verstehen sich als Partner der Unternehmen. Diese Leidenschaft spürt man in allem: Zum Beispiel beim Techniker, der Veranstaltungen perfekt organisiert, in der Arbeit unserer IHK Akademie und in dem Team, das am Telefon die Erstauskünfte gibt – dem ISZ. Das sind Menschen, bei denen auch am Abend oder am Wochenende noch das Licht in den Büros oder im Home-Office brennt, weil ihnen unsere Mitglieder diese Extra-Meile wert sind.
Sie haben meine Frage nach dem schönsten Moment nicht beantwortet.
(Lacht) Natürlich gab es da wunderbare Erlebnisse, der Event auf der Zugspitze, die 175-Jahr-Feier, Sie haben das ja alles aufgezählt. Hinter mir hängt eine wunderbare Komposition (Ein Gemälde von Ehrenpräsident Claus Hipp, die Red.), da hebe ich ja auch nicht eine Farbe oder einen Pinselstrich heraus. Mir geht es um das Gesamtbild IHK. Das finde ich phantastisch.
Welche Eigenschaften sollte ein IHK-Präsident haben?
Jeder IHK-Präsident hat ein anderes Profil. Mein Ziel war, Unternehmertum sichtbar zu machen. Deshalb habe ich versucht, als Präsident sehr präsent zu sein bei den Mitgliedern. Bei den Meilensteinen im Leben ihrer Mitarbeiter genauso wie der Firmen selbst. Mir hat das Gespräch mit gesellschaftlichen Gruppen viel gegolten, ebenso wie persönliche Gespräche mit Medien und der Politik.
Ich wollte die IHK öffnen.
Sie haben die IHK lockerer gemacht. Sie twittern, treten auch ohne Krawatte auf.
Ich wollte weg von diesem präsidialen Stil und die IHK öffnen, sie nahbarer machen. Ich habe das Präsidentenzimmer im IHK-Stammhaus abgeschafft. Meinen Arbeitsraum teile ich mir jetzt mit dem Hauptgeschäftsführer. Die Zeit der One-Man-Shows ist vorbei. Wenn man die Interessen der bayerischen Wirtschaft vertreten will, geht das nur als Teamspieler.
Sie haben darauf gedrängt, das Gespräch mit Influencern wie Rezo und den Fridays for Future zu suchen. Gibt es schon Ergebnisse?
Da gibt es erste Gespräche, aber da stehen wir noch am Anfang. Aber bei meiner Einschätzung bleibe ich: Wenn wir unsere Anliegen weiterbringen wollen, dürfen wir keine Denkweise von vornherein ausschließen, auch wenn sie uns nicht behagt. Es bringt nichts, sich immer nur im Echoraum der Gleichgesinnten zu bestätigen.
Wie sind Ihre Erfahrungen im Gespräch mit der Politik? Hat man Ihnen zugehört?
Ich habe während meiner Amtszeit nur Politiker erlebt, die zuhören, die analysieren und die Anregungen aufgegriffen haben, wie sich für Unternehmer gute Rahmenbedingungen schaffen lassen. Das gilt für alle Parteien.
Zu welchen Erfolgen hat dieser gute Kontakt geführt?
Exemplarisch sehe ich die Reform der Erbschaftsteuer. In Berlin stand ein Gesetz kurz vor der Verabschiedung, das für Familienunternehmen ein großes Risiko bedeutet hätte. Wir hatten an einem Sonntagnachmittag wenige Tage vorher die Chance, unsere Bedenken dem Ministerpräsidenten und Kabinettsmitgliedern vorzutragen. Gemeinsam ist es uns gelungen, das Gesetz zu entschärfen. Heute haben wir eine Regelung, mit der die Wirtschaft größtenteils leben kann. An solche Erfolge wollen wir weiter anknüpfen.
Haben Sie sich während Ihrer Amtszeit verändert?
Ja, ich habe feststellen dürfen, welche Kraft in der Zuversicht liegt. Das hat meinen Optimismus verstärkt.
Das überrascht angesichts der Probleme, die viele Unternehmen gerade haben.
Wir haben aber mit der IHK-Organisation eine ganz schlagkräftige Truppe, die das Interesse und die Angelegenheiten der Unternehmen voranbringen kann. In allen Gesprächen, die ich führe, spüre ich die große Bereitschaft zur Veränderung und das Bewusstsein, wie dringend wir Menschen mit ausgeprägt unternehmerischem Verständnis brauchen.
Wir müssen Zuversicht und Mut zeigen.
Worin sehen Sie die wichtigste IHK-Aufgabe im Schicksalsjahr 2021?
Wir müssen Zuversicht und Mut zeigen. Corona ist da, die Krise ist da. Aber das ist endlich. Nur über Angst und Gefahren reden, das hilft uns ebenso wenig wie der Blick in den Rückspiegel, das Gejammer über das, was alles schief gelaufen ist. Besser wir orientieren uns, wie beim Navi im Auto, an dem, worauf wir zusteuern, wo wir ankommen wollen. Das Beste kommt noch – die Botschaft müssen wir unseren Mitgliedern vermitteln.
Wie sähe denn Ihre Agenda für die Zukunft aus?
Die Krise hat auch Positives. Sie ist ein Wendepunkt. Heute wissen alle, was wir tun müssen: die Wirtschaft zum Laufen bringen, alle Lebensbereiche digitalisieren, Bürokratie abbauen, unser Land nachhaltig gestalten.
Schaffen wir das?
Die Krise hat doch gezeigt, was möglich ist. Über Nacht war das halbe Land im Home-Office. Ich habe die Bundesregierung oft kritisiert, aber plötzlich war sie zu disruptivem Handeln fähig. Soforthilfe, Schnellkredite, Stundung der Sozialversicherungsbeiträge und Kreditraten, Stabilisierungsfonds - ich war erstaunt, was alles ganz schnell ging. Dieses Momentum muss erhalten bleiben, die gezeigte Flexibilität nicht in Erstarrung zurückfallen. Wir sehen gerade, wie schädlich es ist, wenn plötzlich wieder die Bremsen greifen.
Was wird nun aus Ihnen und der IHK?
Ich werde dieses Jahr 70. Anfang nächsten Jahres gebe ich meine Firmen an meine Töchter Laura und Clara ab. Das ist eine erfrischende Aussicht: Als Aufsichtsrat den Aufbruch meines Unternehmens in die Zukunft zu begleiten, etwas zu bewegen und zu verändern, solange man selbst noch gut drauf ist. In unserer Vollversammlung sitzen tatkräftige Unternehmer einer neuen, jungen Generation, die einen weiten Blick hat. Wir brechen auf in die Zukunft – und die IHK wird ganz sicher einer der großen gesellschaftlichen Treiber bleiben.
Zur Person
Eberhard Sasse ist seit September 2013 Präsident der IHK für München und Oberbayern und Präsident der neun bayerischen IHKs (BIHK). Im Juni 2021 scheidet er offiziell aus seinem Amt und der IHK-Vollversammlung aus. Sasse ist Gründer und Eigentümer der Dr. Sasse AG, einem Komplettanbieter im Facility Management. Das Unternehmen hat rund 6.500 Mitarbeiter und einen kons. Jahresumsatz von 220 Mio. Euro.