Wirtschaftsstandort

Bürokratieabbau

Person trägt zahlreiche Ordner im Büro
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Bürokratieabbau ist längst zu einem politischen Top-Thema geworden. Bürokratieentlastungs- und Modernisierungsgesetze sollen Abhilfe schaffen. Für einen wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort muss die Politik aber über den kleinteiligen Abbau einzelner Pflichten und Vorgaben hinausgehen und einen ganzheitlichen Ansatz zum strukturellen Bürokratieabbau entwerfen. Dazu braucht es einen politischen Mentalitätswandel: Weg von Mikro-Steuerung hin zu verlässlichen Rahmenbedingungen.

Inhalt

Auf einen Blick: Zahlen und Fakten zur Bürokratiebelastung

Bürokratie ist seit Jahren ein Top-Thema für Politik und Wirtschaft. Die kontinuierlich vorgetragenen politischen Abschichtserklärungen spiegeln sich allerdings nicht im Alltag der Unternehmen wider. Die Bürokratiebelastung ist enorm.

  • 9 von 10 Unternehmen werden der IHK-Konjunkturumfrage zufolge durch staatliche Bürokratie gehemmt. 46 % sehen sich sogar in erheblichem Umfang beeinträchtigt.
  • Mehr als 90 % geben in einer Untersuchung des ifM Bonn an, dass die Bürokratielast in den letzten 5 Jahren gestiegen ist
  • Der Wunsch, die Bürokratielast zu begrenzen, wird immer lauter. Einer ifo-Befragung folgend ist Bürokratieabbau aus Sicht der Unternehmen das Themenfeld, dem sich die Bundesregierung als erstes annehmen sollte.
  • Der Nutzen eines erfolgreichen, umfassenden Bürokratieabbaus ist gigantisch: Die ifo-Studie Entgangene Wirtschaftsleistung durch hohen Bürokratieaufwand schätzt das Potenzial auf 146 Milliarden Euro jährlich.

Das in der ifo-Studie dargelegte entgangene Wachstum aufgrund überbordender Bürokratie bleibt zu häufig unerkannt: Die staatlichen Messungen der Bürokratiebelastung spiegeln die tatsächliche Belastung der Unternehmen und die volkswirtschaftlichen Folgen nur unzureichend wider.

146 Milliarden pro Jahr: Die Kosten der überbordenden Bürokratie in Deutschland sind gigantisch

Die von der IHK beauftragte ifo-Studie "Entgangene Wirtschaftsleistung durch hohen Bürokratieaufwand“ beziffert, wie stark überbordende Bürokratie und fehlende Digitalisierung unsere Unternehmen und unser Land ausbremsen. Der Schaden ist gigantisch:

  • Durch die überbordende Bürokratie entgehen Deutschland bis zu 146 Milliarden Euro pro Jahr an Wirtschaftsleistung. Abgeleitet von Bayerns Anteil am deutschen BIP (18,6 %) gehen uns jährlich 27 Milliarden allein in Bayern verloren.
  • Das reale BIP pro Kopf könnte also durchschnittlich um 1.766 € höher ausfallen. Über die Zeit wird der Effekt tendenziell sogar größer. Hätte Deutschland im Jahr 2015 einen umfassenden Bürokratieabbau durchgeführt, wäre das BIP pro
    Kopf 2022 um 2.449 € höher ausgefallen.
  • Dabei sind die Potenziale einer umfassenden Verwaltungsdigitalisierung noch gar nicht berücksichtigt. Ein umfassender Digitalisierungsschub könnte entscheidend zur Entlastung beitragen (96 Milliarden € bei gleichbleibendem Bürokratie-Niveau).

Die Ergebnisse der internationalen Analyse zeigen das gigantische Potenzial einer tiefgreifenden Verwaltungsreform, wie sie etwa 2006 in Frankreich unter Sarkozy angestoßen wurde. In Deutschland bleibt eine derartig umfassende Verwaltungsreform bislang aus.

Um auch in Deutschland von den Vorteilen einer schlanken Bürokratie zu profitieren, bedarf es einer zweigleisigen Strategie. Zum einen muss Bürokratie grundlegend verschlankt und effizienter gestaltet werden. Zum zweiten müssen unverzichtbare bürokratische Prozesse vereinfacht und vollständig digitalisiert werden.

Dabei besteht ein politökonomisches Anreizproblem: Die positiven Effekte umfassender Reformen treten oft erst zeitverzögert ein und nutzen häufig erst späteren Entscheidungsträgern. Bürokratieabbau ist nur als ein langfristiges politisches Ziel realisierbar.

Problematisch: Bürokratiekosten werden häufig unterschätzt, der Nutzen von Regulierung nicht bewertet

Der 2012 von der Bundesregierung ins Leben gerufene Bürokratiekostenindex des Statistischen Bundesamtes zeichnet - verglichen mit der oben beschriebenen Situation - ein helles Bild: Die Bürokratiekosten seien leicht niedriger als im Jahr 2012. Der Index zeichnet jedoch ein trügerisches Bild:

  • Der Bürokratiekostenindex beachtet nur Kosten durch bundesrechtliche Vorschriften. Bürokratie kann aber auf allen föderalen Ebenen geschaffen werden: EU, Bund, Land und auf kommunaler Ebene.
  • Der Bürokratiekostenindex zielt nur auf die Aufwände durch "klassischen Papierkram" ab. Die tatsächlichen Kosten aber sind höher: Zur Befolgung der Vorschriften müssen häufig interne Prozesse etabliert, angepasst und beibehalten werden sowie Waren- und Sachleistungen beschafft werden. Der nationale Normenkontrollrat bezieht zumindest diese Kosten im Erfüllungsaufwand mit ein.

Dabei lassen sich der laufende Erfüllungsaufwand und der einmalige Erfüllungsaufwand unterscheiden. Letzterer umfasst die einmaligen Umstellungskosten, während der laufende Erfüllungsaufwand jedes Jahr anfällt.

  • Der laufende Erfüllungsaufwand ist auf Seiten der Wirtschaft seit 2011 um 14 Milliarden Euro gestiegen. In der Verwaltung fallen jährlich 9 Milliarden Euro mehr Kosten an als in 2011, wie aus dem Jahresbericht 2024 des Nationalen Normenkontrollrats hervorgeht.
  • Hinzu kommt der einmalige Erfüllungsaufwand, der im Berichtszeitraum des NKR-Jahresberichts 2023 für die Wirtschaft mit über 20 Milliarden Euro einen neuen Höchstwert erreichte.

Die tatsächlichen Bürokratiekosten sind aber deutlich höher. Auch die Berechnungen des Normenkontrollrats beachten nur die Regulierung auf Bundesebene. Außerdem entstehen bei hoher Bürokratiebelastung auch psychologische Kosten, die mit einer Kostenabschätzung nicht beziffert werden können. Das IfM Bonn hat Unternehmen zu den psychologischen Kosten befragt:

  • Für 53 % der Unternehmen wiegen die psychologischen Kosten von Bürokratie dem schwerer, als der eigentliche Erfüllungsaufwand.
  • Bei mehr als der Hälfte der befragten Unternehmen löst die Bürokratiebelastung Gefühle von Wut, Zorn und Aggression aus. Vermeidung und Frustration sind weitere häufige Reaktionen auf die Bürokratielast und eine schlechte Voraussetzung für erfolgreiches Unternehmertum. Insbesondere Kleinunternehmen zeigen sich von der Bürokratie überfordert.
  • 8 von 10 Unternehmen fühlen aufgrund der Bürokratiebelastung eine abnehmende Freude an ihrer unternehmerischen Tätigkeit.

Die Vielzahl an Regulierungen und Vorschriften führt letztlich dazu, dass sie nicht vollumfänglich umgesetzt werden. Nur 4 von 10 Unternehmen geben in der Befragung des IfM Bonn an, alle bürokratischen Pflichten vollumfänglich zu erfüllen. Genauso viele Unternehmen sind sich schlicht nicht sicher, ob sie allen Pflichten nachkommen. Etwa jedes Fünfte Unternehmen weiß, dass es nicht allen Pflichten nachkommt und nimmt dies bewusst in Kauf.

Diese Situation verdeutlicht: Die aktuelle Regulierungsdichte geht zu weit. Sie überfordert und entmutigt insbesondere kleine Unternehmen und kann von staatlicher Seite anscheinend nicht mehr auf Einhaltung überprüft werden. Unabhängig von der Messung der tatsächlichen Kosten von Bürokratie muss daher auch die Nutzen-Seite mitbetrachtet werden.

Aktuell werden die Kosten also konstant unterschätzt, während der Nutzen gar nicht konkret eingeschätzt und in eine Analyse einbezogen wird. Das einfache Prinzip der Kosten-Nutzen-Analyse findet nicht statt.

Das in der ifo Studie dargelegte entgangene Wachstum aufgrund überbordender Bürokratie bleibt zu häufig unerkannt: Die staatlichen Messungen der Bürokratiebelastung spiegeln die tatsächliche Belastung der Unternehmen und die volkswirtschaftlichen Folgen nur unzureichend wider.

So gelingt der Bürokratieabbau: Unsere Forderungen an die Politik

Praxis-Checks sowie Modernisierungs- und Bürokratieentlastungsgesetze sind richtige Maßnahmen zur kontinuierlichen Bekämpfung unnötiger Bürokratie, bei denen sich die IHK-Organisation einbringt. Für eine spürbare Entlastung braucht es darüber hinaus aber eine noch umfassendere Verwaltungsreform sowie eine Legislatur-übergreifende
Agenda mit langfristigen Zielen, die konsequent verfolgt werden:

1. Vom Ausland lernen

Hierfür fahren wir gemeinsam mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft im März 2025 nach Schweden, das beim internationalen Bürokratie-Index führt.

2. Bürokratie-Moratorium

Alle Nachweis-, Dokumentations- und Berichtspflichten sowie Statistikmeldungen sowie alle ständigen Gesetzesänderungen, Datenschutzvorgaben und langwierigen Verwaltungsverfahren müssen auf den Prüfstand.

3. Goldplating-Monitoring

Alle EU-Richtlinien 1:1 umsetzen und Spielräume für wirtschaftsfreundliche Auslegung nutzen.

4. Bündelung von digitalen Prozessen

Das Once-Only-Prinzip muss umgesetzt werden. Einmal eingegebene Daten stehen für alle weiteren Verwaltungsverfahren und Behörden bereit. Durchgängig digitale Prozesse und automatisierter Datenaustausch sind dafür unerlässlich.
Die neu eingeführte Wirtschaftsidentifikationsnummer ist ein guter Ausgangspunkt zur Umsetzung des Once-Only-Prinzips., bietet den Unternehmen aber aktuell kaum einen Mehrwert. Hierfür muss der Kreis der involvierten öffentlichen Stellen schnell und umfangreich erweitert werden.

5. Abschaffung (kleinteiliger) Förderprogramme

Es muss das Kosten-Nutzen-Prinzip gelten: Die Bearbeitung der Anträge muss deutlich geringer sein, als die ausgezahlte Summe. Jedes Programm muss bezüglich seiner Zielerreichung evaluiert werden.


Weitere IHK-Forderungen zum Bürokratieabbau
stehen in unseren Forderungspapieren zur Bundestagswahl sowie zur Landtagswahl. Konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau liegen durch eine Verbändeanfrage im Jahr 2023 für die Bundesebene sowie durch eine Liste der IHK-Organisation auf EU-Ebene vor.