Arbeitsmarkt
Ausreichend und gut qualifizierte Arbeitskräfte sind ein entscheidender Standortfaktor für Unternehmen und Voraussetzung für wirtschaftlichen Wohlstand. Die demografische Entwicklung und der wirtschaftlichen Strukturwandel stellen den Arbeitsmarkt jedoch vor immer größere Herausforderungen.
Inhalt
Aktuelles
Auswertung des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD
Arbeitsmarkt und Fachkräfte: Gute Ansätze erkennbar, aber noch Luft nach oben
Positiv:
▪ Erhöhung von Arbeitsanreizen, u.a. durch Vermittlungsvorrang, Erhöhung Pendlerpauschale, Neuregelung Hinzuverdienstgrenzen und Transferentzugsrate
▪ Umstellung auf wöchentliche anstatt täglicher Höchstarbeitszeit
▪ Erhalt Vertrauensarbeitszeit und angestrebte unbürokratische Arbeitszeiterfassung
▪ Stärkung Zuwanderung durch zentrale „Work-and-stay-Agentur“ und einheitliches Anerkennungsverfahren von maximal acht Wochen
▪ Höhere Anreize für Erwerbstätigkeit im Rentenalter (u.a. steuerfreies Einkommen bis monatlich 2.000 €, Befristungsmöglichkeit)
▪ Schnellere, rechtsichere und transparentere Statusfeststellungsverfahren (Scheinselbstständigkeit)
Negativ:
▪ Beibehalt abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren
▪ Halbierung Kontingent Westbalkanregelung auf 25.000 Personen pro Jahr
Was fehlt?
▪ Vereinfachung der Fachkräfteeinwanderung
▪ Anpassung der Rentenabschläge bei frühzeitigem Renteneintritt ohne Belastung der Solidargemeinschaft
▪ Flexibilisierung Weiterbildungsförderungen, um geförderte Schulungen unter 120 Stunden zu ermöglichen
Arbeitsmarkt und Strukturwandel
Der sich verschärfende Fachkräftemangel in Deutschland kontrastiert mit Arbeitsplatzabbau und Kurzarbeit in einigen Branchen, insbesondere in der chemischen Industrie und im Fahrzeugbau.
Vor diesem Hintergrund hat das ifo Institut im Auftrag der IHK für München und Oberbayern Maßnahmen untersucht, um das Matching auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Gesucht wurden realistische Maßnahmen, die idealerweise gleichzeitig die Unterbeschäftigung in den schrumpfenden Branchen und den Fachkräftemangel in vielen Teilen der Wirtschaft reduzieren.
Als wichtigste Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation wurden identifiziert:
1. Verkürzung der maximalen Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld
2. Absenkung oder verzögerte Anpassung des Bürgergelds
3. Kombination von Kurzarbeit und Qualifizierung
4. Programmorientierung hin zu unternehmensnaher Qualifizierung
5. Abbau von Hemmnissen gegen die Nutzung von Weiterbildungsangeboten
6. Förderung der eigenständigen Jobsuche durch innovative Methoden
7. Kampagnen zugunsten des Quereinstiegs
8. Rentenreformen zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit
9. Einkommensteuerreform zur Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit
10. Abbau von Hemmnissen gegen die Beschäftigung von Migranten
Situation am Arbeitsmarkt
Der bayerische Arbeitsmarkt steht angesichts der wirtschaftlichen Transformation, der Bevölkerungsstruktur und der aktuellen Konjunkturschwäche vor enormen Herausforderungen. In vielen Unternehmen fehlen schon jetzt Arbeitskräfte. Im Zuge der demografischen Entwicklung wird die Zahl der zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen noch deutlich zurückgehen. Die aktuell vorsichtigen Beschäftigungspläne der Unternehmen dürften nur zu kurzfristiger Entlastung des Fachkräftemangels, jedoch auch zu zwischenzeitlich höherer Arbeitslosigkeit führen. Zusätzliche Herausforderungen stellen die wandelnden Kompetenzanforderungen an die Beschäftigten im Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels und neuer Technologien dar.
IHK Arbeitsmarktradar 2025: Berufe, Regionen und Branchen im Blick
Wie entwickelt sich die SV-Beschäftigung in Bayern bis 2028? Wieviele Arbeitskräfte fehlen in Bayern und den einzelnen Regionen ? In welchen Berufen und Branchen fehlen die meisten Arbeitskräfte?
Der IHK Arbeitsmarktradar Bayern gibt Antworten auf diese Fragen. Kernstück des Arbeitsmarktradars ist das Online-Tool, mit dem individuelle Auswertungen für alle Berufe, Branchen und Regionen in Bayern erstellt werden können.
IHK Arbeitsmarktradar - Zentrale Ergebnisse für Bayern
- Der Arbeits- und Fachkräftebedarf nimmt weiter zu: Die Zahl der offenen Stellen wird von 2023 bis 2028 um ein Viertel auf 380.000 ansteigen.
- Stellt man den offenen Stellen die passend qualifizierten Arbeitslosen gegenüber, ergibt sich eine Arbeitskräftelücke von 220.000 im Jahr 2028.
- Vor allem beruflich qualifizierte Fachkräfte fehlen: Hier beträgt die Arbeitskräftelücke im Jahr 2028 120.000 Personen. Zudem fehlen dann 36.000 Spezialisten (z.B. Meister, Fachkräfte mit Weiterbildung, Bachelor), 48.000 Experten (v.a. Akademiker mit Master-Abschluss) und 16.000 Helfer (einfache Tätigkeiten ohne spezifische Fachkenntnisse).
- Bayerns Wirtschaft erleidet auf Grund der Arbeitskräftelücke im Jahr 2028 Wertschöpfungsverluste in Höhe von 24 Mrd. Euro.
- Blick in die Zukunft: Rein demografisch bedingt sinkt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Bayern von 2023 bis 2038 von 5,7 auf 5,1 Mio. Wenn es gelingt, die Erwerbspartizipation von Frauen, Älteren und ausländischen Beschäftigten weiter zu steigern und auch der Zuzug ausländischer Arbeitskräfte sich wie in den letzten Jahren entwickelt, so kann die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Bayern bis 2038 auf 6,0 Mio. anwachsen.
IHK Arbeitsmarktradar Bayern
BIHK Unternehmensumfrage Herbst 2024 zum Arbeitskräftemangel
Trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage haben viele bayerische Unternehmen im Herbst 2024 Probleme bei der Stellenbesetzung: 38% können ihre Vakanzen länger als zwei Monate nicht besetzen. 52% der Unternehmen sehen im Fachkräftemangel eine Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung.
Dies sind die Ergebnisse einer bayernweiten Unternehmensbefragung im Rahmen der Konjunkturumfrage des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK) unter 3.300 Unternehmen.
- Die Auswirkungen variieren zwischen den Branchen. Besonders stark betroffen bleibt das Baugewerbe, wo 54 % der Unternehmen berichten, dass sie Stellen länger als zwei Monate nicht besetzen können. Im Tourismus liegt der Anteil bei 40 %, was einen signifikanten Rückgang zum Vorjahr darstellt. Die Dienstleistungsbranche liegt mit 39 % knapp über dem Durchschnitt, während die Industrie (34 %) und der Handel (33 %) inzwischen wieder auf einem Niveau vergleichbar mit den Pandemiezeiten sind. In der Informationswirtschaft (32 %) zeigt sich weiterhin der niedrigste Anteil an Unternehmen mit Besetzungsproblemen.
- Arbeitskräfte werden in Bayern über alle Qualifikationsniveaus hinweg dringend gesucht. Im Schnitt gibt knapp die Hälfte der Unternehmen an, vergeblich nach einer Arbeitskraft mit dualer Berufsausbildung (46 %) oder mit Fachwirt-, Meister- oder einem anderen Weiterbildungsabschluss (46 %) zu suchen. Aber auch die Besetzung von Stellen für Auszubildende (46 %) und Arbeitskräfte mit (Fach-)Hochschulabschluss (38 %) erweist sich über alle Branchen hinweg als problematisch. Zudem sucht mehr als jedes vierte Unternehmen (28 %) nach Hilfspersonal ohne abgeschlossene Berufsausbildung.
Viele weitere interessante Ergebnisse - unter anderem zu den Maßnahmen der Unternehmen im Kampf gegen den Arbeitskräftemangel un die Details für Oberbayern - finden Sie in unserer Auswertung der BIHK-Umfrage zum Arbeitskräftemangel aus dem Herbst 2024.
Politische Ansatzpunkte
Damit die bayerische Wirtschaft über ausreichend Arbeitskräfte verfügt und die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts gesichert wird, gilt es, neben der Stärkung der betrieblichen Ausbildung alle vorhandenen Erwerbspotenziale zu erschließen und den Einsatz von Arbeitskräften aus dem Ausland zu erleichtern. Arbeitsrechtliche Anforderungen müssen unbürokratisch und praxisnah sein.
Diese Grundausrichtung wird in unseren Positionspapieren spezifiziert:
Anreizstrukturen am Arbeitsmarkt sinnvoll gestalten
Je nach Haushaltskonstellation und Transferleistungen wirkt sich eine deutliche Arbeitszeitausweitung oft nur gering im Nettoeinkommen aus. Nach Berechnungen des ifo-Instituts hat ein alleinstehender Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor bei hohem Mietpreisniveau nach einer Arbeitszeitverdopplung von 75 auf 150 Stunden pro Monat nur 20 € mehr Geld zur Verfügung (911 € statt 891 €). Eine Familie mit zwei Kindern und zwei Eltern, die zwischen 18 und 20 € pro Stunde verdienen, hat nach einer Arbeitszeitausweitung von 150 auf 250 Stunden pro Monat nur 75 € mehr zur Verfügung (2993 € statt 3086 €), obwohl das Familienbruttoeinkommen von 3.000 auf 5.000 € gestiegen ist.
Die Vollversammlung der IHK für München und Oberbayern spricht sich deshalb dafür aus, Anreize für Mehrarbeit zu setzen:
- Fehlanreize für Teilzeitbeschäftigung abbauen:
Der Trend zu mehr Teilzeitbeschäftigung ist ungebrochen. Ein häufiger Grund ist, dass sich eine Arbeitszeitausweitung finanziell kaum rechnet. Derartige Fehlanreize müssen abgebaut werden, z.B. durch die perspektivische Aufhebung der beitragsfreien Familienmitversicherung für (Ehe-)Partner/-innen nach der Elternzeit bei der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung. Damit wird der Wechsel aus der Nicht-Beschäftigung oder geringfügigen Beschäftigung in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung attraktiver. - Arbeitslose und Bürgergeldempfänger stärker in eine existenzsichernde Beschäftigung integrieren:
Für erwerbsfähige Leistungsbeziehende müssen stärkere Anreize geschaffen werden, eine nachhaltige und möglichst existenzsichernde Beschäftigung aufzunehmen bzw. auszuweiten. Mehrarbeit muss sich in allen Lebenslagen lohnen. Dieser Grundsatz muss bei der Ausgestaltung von Sozialleistungen und Transfersystemen beachtet werden.
Dass finanzielle Anreize das Arbeitsvolumen beeinflussen, beweist auch eine andere Studie des ifo-Instituts zur Erwerbsbeteiligung von Älteren und Frauen. Eine Aufhebung der beitragsfreien Familienmitversicherung für (Ehe-)partner würde den Berechnungen zufolge etwa 26.000 zusätzliche Vollzeitarbeitskräfte allein in Bayern schaffen.
Erwerbsbeteiligung von Frauen
Frauen sind beruflich genauso gut qualifiziert wie Männer, wie amtliche Daten oder Erwerbstätigenbefragungen zeigen. Frauen sind jedoch in deutlich geringerem Umfang erwerbstätig: Im Jahr 2022 waren in Bayern 73 Prozent der Frauen zwischen 15 und 65 Jahren erwerbstätig (Männer. 84 %), davon arbeiteten 49 Prozent in Teilzeit (Männer: 9 %). Ab der Altersgruppe 35 bis 40 Jahren arbeiten mehr als die Hälfte der erwerbstätigen Frauen in Teilzeit (55 Prozent). Dieser Anteil bleibt in höheren Altersgruppen bestehen, wie das bayerische Landesamts für Statistik darlegt. Bei der Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen und insbesondere deren Wochenarbeitszeit liegt der größte kurz- und mittelfristige Hebel für die Gewinnung zusätzlichen Arbeitskräftepotenzials, wie eine ifo-Studie zeigt.
Um diesen Hebel zu nutzen, muss die Politik
- bedarfsgerechte, kostengünstige und verlässliche Kinderbetreuungsangebote sicherstellen
- die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf verbessern
- Regulierungen abbauen: Die Ausweitung bestehender Rechtsansprüche zur Freistellung sowie weitergehende Lohnersatzleistungen im Zusammenhang mit Kinderbetreuung oder Pflege sind kontraproduktiv. Auch gesetzliche Quotenregelungen oder bürokratische Vorgaben zur Sicherung der Entgeltgleichheit gehen in die falsche Richtung.
- beim Durchbrechen von stereotypischem Rollenverhalten unterstützen: Insbesondere Mädchen sollen in der Berufsorientierung für Entwicklungsmöglichkeiten favorisierter Berufe, Verdienst- und Karrierechancen
sensibilisiert werden. Die partnerschaftliche Vereinbarkeit von Familienaufgaben muss eine gelebte gesellschaftliche Praxis sein.
Erwerbsbeteiligung bei Älteren
Sowohl in Deutschland als auch in Bayern sind nach der Statistik der Bundesagentur für Arbeit über 22 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über 55 Jahre alt (Stand Februar 2024). In Deutschland gehen dementsprechend 7,7 Millionen, in Bayern etwa 1,3 Millionen Beschäftigte in den nächsten 15 Jahren in Rente. Demgegenüber stehen deutlich weniger junge Menschen, sodass rein demographisch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung alleine in Bayern von 2023 bis 2038 um 600.000 Stellen abnimmt, wie der IHK Arbeitsmarktradar Bayern berechnet. Wie groß der Hebel in dieser Altersgruppe ist, zeigt auch eine Studie des ifo Instituts: Die Abschaffung der Rente mit 63 würde deutschlandweit 157.000 zusätzliche Vollzeitarbeitskräfte bringen, davon etwa 26.000 in Bayern.
Beschäftigungswirkungen von Rentenreformen
Maßnahme | Beschäftigungseffekt für Bayern | Beschäftigungseffekt für Deutschland |
Erhöhung der Regelaltersgrenze von 67 auf 69 | 437.000 | 80.000 |
Abschaffung der Rente mit 63 | 157.000 | 26.000 |
Erhöhung des Abschlagsfaktors 3,6 % auf 6 % | 177.000 | 30.000 |
Arbeitsmarkt und Migration
Der Beitrag ausländischer Beschäftigter zum sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungswachstum hat zunehmend an Bedeutung gewonnen. Im Jahr 2023 war das gesamte Beschäftigungswachstum in Deutschland durch ausländische Arbeitskräfte getragen. Dabei leisteten Drittstaatangehörige den größten Beitrag.
Die Erwerbstätigenquote der im Jahr 2015 nach Deutschland geflüchteten Männer lag acht Jahre später bei 86 % und damit höher als die durchschnittliche Quote der erwerbsfähigen männlichen Bevölkerung (81 %). Allerdings war nur ein Drittel der 2015 geflüchteten Frauen in 2023 erwerbstätig, der Durchschnitt liegt hier mit 74 % deutlich höher. 8,9 Sowohl bei weiblichen als auch bei männlichen Geflüchteten vergeht viel Zeit bis zur Arbeitsaufnahme in Deutschland. Fünf Jahre nach der Ankunft arbeitete weniger als die Hälfte der 2015 nach Deutschland Geflüchteten (Männer 60 %, Frauen 15 %), wie eine groß angelegte Befragung von Gefüchteten aufzeigt.
Um die Arbeitsmarktmigration zu erleichtern und wertvolle Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen, fordert die IHK für München und Oberbayern in ihrer Position Zuwanderung von Arbeitskräften erleichtern und beschleunigen :
- Beschäftigung bei einer teilweisen Gleichwertigkeit erleichtern
- Beschäftigung von Arbeitskräften mit Berufserfahrung unbürokratisch ermöglichen
- Beschäftigungsmöglichkeiten von Unqualifizierten erweitern
- Anerkennungs- und aufenthaltsrechtliche Verfahren optimieren und rasch in die Umsetzung bringen
- Sprachangebote zügig ausweiten - Sprachanforderungen senken
- Auszubildende in den Blick nehmen
- Unternehmen bei der Anwerbung besser unterstützen
- Willkommenskultur und Integration fördern
Informationen, wie Sie als Unternehmen Fachkräfte aus dem Ausland anwerben, einstellen und beschäftigen können, finden Sie in unserem Ratgeber .