IHK Arbeitsmarktradar
In ganz Bayern fehlten 2022 rund 157.000 Arbeitskräfte und der Engpass wird in den kommenden Jahren nicht kleiner. Oberbayern profitiert zwar durch die Strahlkraft Münchens von Zuwanderung und einer verhältnismäßig jungen Bevölkerung, dennoch fehlen allein in Oberbayern 40.000 (2022) beziehungsweise 41.000 (2027) Arbeitskräfte.
Dies geht aus dem neuen IHK-Arbeitsmarktradar Bayern hervor, in dem das IW Köln im Auftrag des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK) die Arbeitsmarktentwicklungen der letzten Jahre fortschreibt.
Inhalt
Zentrale Ergebnisse auf einen Blick
In ganz Bayern fehlten 2022 rund 157.000 Arbeitskräfte. Bis 2027 könnte die Zahl auf rund 176.000 (+12,3 %) weiter anwachsen. Dann wären rechnerisch 54,6 % aller offenen Stellen nicht zu besetzen. Die Lücke an Arbeitskräften ergibt sich aus der Zahl der offenen sozialversicherungspflichtigen Stellen, für die es keine passend qualifizierten Arbeitslosen gibt.
Arbeitskräfte fehlen auf allen Qualifikationsniveaus. Der größte Anteil der Beschäftigten fehlt auf dem Qualifikationsniveau „Fachkraft“ (v.a. berufliche Ausbildung). Hier dürfte die Lücke 2027 rund 100.000 in Bayern und 22.000 in Oberbayern betragen.
Bayerns Wirtschaft erlitt durch den Arbeitskräftemangel im Jahr 2022 Wertschöpfungsverluste von rund 17 Mrd. Euro. Das entspricht 2,6 % der Bruttowertschöpfung. In Oberbayern könnte die Wertschöpfung ohne die Arbeitskräftelücke 4,7 Mrd. Euro beziehungsweise 1,6 % höher liegen.
Rein demografisch würde die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Bayern bis 2035 um 11,3 % zurückgehen. Mit einer weiterhin steigenden Partizipation – insbesondere von Älteren, Frauen und ausländischen Arbeitskräften – ist dagegen ein Beschäftigungswachstum von 7,8 % möglich. Oberbayern profitiert von seiner vergleichsweise jungen Bevölkerung und einem positriven Pendlersaldo, auch hier würde die BEschäftigtenzahl ohne bZuwanderung und steigende Arbeitsmarktpartizipation bis 2035 aber zurückgehen (-6,4 %).
Hinweise:
- Alle Ergebnisse sowie Grafiken auf dieser Seite basieren auf den Daten des IHK-Arbeitsmarktradars Bayern 2024, der im Auftrag des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages vom IW Köln erstellt wurde. Das gesamte Gutachten des IW Köln steht Ihnen genauso zur Verfügung wie ein Report mit den zentralen Ergebnissen: Download der Studie
- In allen Fortschreibungen wird davon ausgegangen, dass sich die Zuwanderung und die Arbeitsmarktpartizipation bis 2027 wie in den letzten sieben Jahren weiterentwickeln (2016-2022).
Arbeitskräftelücke 2016 bis 2027
2022 fehlten der bayerischen Wirtschaft rund 157.000 Arbeitskräfte. Davon entfielen rund 92.000 auf das Niveau „Fachkraft“, 25.000 auf das Niveau „Spezialist“ (z.B. Meister, Fachkräfte mit Weiterbildung, Bachelor) und 36.000 auf das Niveau „Experte“ (v.a. Akademiker mit Master-Abschluss). Nur rund 3.700 fehlende Arbeitskräfte entfallen auf das Niveau „Helfer“. Die Arbeitskräftelücke auf diesem Niveau ist niedrig, da es viele geringqualifizierte Arbeitslose gibt, die schnell für Tätigkeiten angelernt werden können. Dass inzwischen dennoch viele Unternehmen auch auf diesem Qualifikationsniveau keine Arbeitskräfte finden, deutet auf Hemmnisse hin, die theoretisch vorhandenen Arbeitslosen tatsächlich für eine Beschäftigungsaufnahme zu gewinnen.
Bei den Helfern ist in den kommenden Jahren auch der größte relative Arbeitskräftelückenanstieg zu erwarten. Im Jahr 2027 fehlen voraussichtlich 8.500 Arbeitskräfte auf dem Niveau „Helfer“, ein Anstieg um 130 %. In Oberbayern ist sogar ein Anstieg um 247 % zu erwarten. Auch bei den anderen Qualifikationsniveaus wächst die Arbeitskräftelücke an. Insgesamt fehlen in Bayern 2027 voraussichtlich 176.000 Arbeitskräfte.
Verhältnis aus offenen Stellen und passend qualifizierten Arbeitslosen
Die Stellenüberhangsquote verkörpert, wie schwer es tatsächlich ist, offene Stellen zu besetzen. Sie zeigt den Anteil offener Stellen, für die es keine passenden Arbeitslosen gibt. Im Jahr 2022 lag die Stellenüberhangsquote in Bayern bei 53,6 %, für 2027 wird sie bei 54,6 % erwartet. Für jede zweite Stelle in Bayern fehlen also passend qualifizierte Arbeitslose. Der Arbeitskräftemangel in Bayern ist damit intensiver als in Deutschland (40,0 % in 2022 und 44,5 % in 2027).
Betrachtet man hier die einzelnen Qualifikationen, so ist die Stellenbesetzung bei „Experten“ besonders schwierig (71,0 % in 2022), aber auch bei „Spezialisten“ und „Fachkräften“ ist die Stellenüberhangsquote mit 62,1 % und 59,8 % in 2022 hoch und bleibt weiterhin auf diesem Niveau. Auffällig ist der Anstieg der Stellenüberhangsquote bei den Helfern auf 7,8 % in 2022 und 15,3 % in 2027.
Top Engpassberufe
Der IHK Arbeitsmarktradar ermöglicht eine sehr detaillierte Betrachtung der Engpässe in einzelnen Berufen und Qualifikationsniveaus. In Bayern werden die größten Lücken im Verkauf (Fachkraft), in der Kinderbetreuung (Spezialist), in der Gesundheits- und Krankenpflege (Fachkraft), in der Informatik (Experte), bei medizinischen Fachangestellten (Fachkraft) sowie u.a. in der Lagerwirtschaft (Fachkraft), der Gastronomie (Helfer), der Elektrotechnik (Experte) sowie der Bauelektrik (Fachkraft) erwartet.
Auch in Oberbayern besteht bei diesen Berufen eine große Arbeitskräftelücke, wie die untenstehende Tabelle zeigt.
Berufsgattung | Arbeitskräftelücke 2027 | Beschäftigte 2027 |
Verkauf (ohne Produktspezialisierung) – Fachkraft | 2.056 | 48.812 |
Informatik – Experte | 1.478 | 6.098 |
Gesundheits- und Krankenpflege – Fachkraft | 1.478 | 38.038 |
Kinderbetreuung und -erziehung – Spezialist | 1.264 | 8.606 |
Gastronomieservice – Helfer | 1.102 | 27.267 |
Bauplanung und Überwachung – Experte | 1.093 | 5.403 |
Sozialarbeit und Sozialpädagogik – Experte | 1.074 | 17.798 |
Bauelektrik – Fachkraft | 841 | 10.649 |
Elektrotechnik – Experte | 822 | 4.698 |
Medizinische Fachangestellte – Fachkraft | 788 | 23.745 |
Betrachtet man die Arbeitskräftelücke mit der Stellenüberhangsquote in Relation zu der Anzahl an passend qualifizierten Arbeitslosen, so sind bayernweit die Beufsgattungen "Gastronomieservice – Fachkraft", "Bauabrechnung und -kalkulation – Experte" und IT-Technik – Experte" ganz vorne im Ranking. Die Stellenüberhangsquote ist bei den TOP 20 durchgängig über 90 %. Für weniger als 10 % der offenen stellen gibt es also passende Arbeitslose.
Wertschöpfungsverluste
Auf Grund der Arbeitskräftelücke kam es im Jahr 2022 zu Wertschöpfungsverlusten in Höhe von 17,1 Milliarden Euro (2,6 % der gesamten Bruttowertschöpfung) für die bayerische Wirtschaft. Diese Verluste werden auf Grund der sich verschärfenden Lage am Arbeitsmarkt bis 2027 auf 18,3 Milliarden Euro (2,8 % der gesamten Bruttowertschöpfung) ansteigen.
In absoluten Zahlen entfällt von diesen Verlusten der größte Teil auf München und Oberbayern (4,7 Milliarden Euro 2027, Abbildung 3). Betrachtet man dagegen die Verluste in Relation zur gesamten Wertschöpfung sind besonders Oberfranken (6,36 %) und Würzburg-Schweinfurt (5,56 %) betroffen.
Fachkraft, Spezialist, Experte oder Helfer?
Die Klassifikation der Berufe 2010 wurde federführend von der Bundesagentur für Arbeit und dem Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung zur systematischen Erfassung der Berufslandschaft in Deutschland entwickelt. Sie unterteilt die Berufe u.a. in vier Anforderungsniveaus. Dieser Systematik folgt auch der IHK Arbeitsmarktradar.
Helferberufe umfassen einfache, wenig komplexe (Routine-)Tätigkeiten, für die keine spezifischen Fachkenntnisse erforderlich sind und kein formaler beruflicher Bildungsabschluss vorausgesetzt wird.
Für diese Tätigkeiten werden fundierte Fachkenntnisse und Fertigkeiten vorausgesetzt, die üblicherweise mit dem Abschluss einer zwei- bis dreijährigen Berufsausbildung erreicht werden.
Diese Tätigkeiten sind mit zusätzlichen Spezialkenntnissen und –fähigkeiten verbunden, die häufig im Rahmen einer beruflichen Fort- oder Weiterbildung, etwa einer Meister- oder Technikerausbildung oder eines Bachelor-Abschlusses an einer Hochschule vermittelt werden.
Hierunter fallen hoch komplexe Tätigkeiten (z. B. Entwicklung, Forschung, Diagnose) sowie Leitungs- und Führungsaufgaben. Meist setzt die Ausübung dieser Berufe eine mindestens vierjährige Hochschulausbildung (Master, Diplom, Staatsexamen o. ä.) oder eine entsprechende Berufserfahrung voraus.