IHK Konferenz Schienenverkehr

Ein Hauch von Aufbruch

Experten sehen für den Güterverkehr auf der Schiene ‎endlich die Chance, eine Alternative zum LKW zu werden. Die Bundesregierung ‎hat den Neuanfang in der Verkehrspolitik versprochen. Sie ‎will pro Jahr mehr als sieben Milliarden Euro zusätzlich ‎in die Verkehrsinfrastruktur investieren. Die „IHK Konferenz ‎Schienenverkehr - Weichen stellen zur Verlagerung des ‎Güterverkehrs“ am 6. November 2018 informierte über Förderprogramme und brachte Vertreter aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Transportgewerbe zusammen.

Georg Dettendorfer, Spediteur und IHK-Vizepräsident, ‎äußerte schon vor Beginn der Veranstaltung seinen Frust. ‎Wieder Blockabfertigung an der österreichischen Grenze ‎mit Rückstau auf der A 8. Wieder zwei Tage, an denen ‎Dettendorfers LKWs im Stau stehen, wertvolle Zeit und ‎Geld verlieren. Lieferung just in time? „Vergiss es“, ‎stöhnte der Unternehmer.‎ Der Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern? Für ‎Dettendorfer eine Enttäuschung. Statt klarem Ja zum ‎Schienausbau für den Brenner-Nordzulauf nur die ‎Ankündigung einer Bedarfsprüfung. Dettendorfer hält das ‎für einen Witz. Die umstehenden Unternehmer sahen das ‎genauso. Tenor: So kann es nicht mehr weitergehen. ‎Und das soll es zum Glück auch nicht. Die Bundesregierung ‎hat den Neuanfang in der Verkehrspolitik versprochen. Der Masterplan ‎Schienengüterverkehr und das Gleisanschluss-‎Förderprogramm sollen Schwung in den Bahngüterverkehr ‎bringen.

Über diese Programme informieren und zum Mitmachen ‎motivieren – das war das Ziel der„IHK Konferenz ‎Schienenverkehr“. Das Timing erwies sich als ‎perfekt:‎ Am gleichen Tag hat Bundesverkehrsminister ‎Andreas Scheuer (CSU) in Berlin verkündet, er werde für ‎einen „Wow-Effekt“ auf der Schiene sorgen. 29 ‎Schienenprojekte sollen in den „Vordringlichen Bedarf“ ‎des Bundesverkehrswegeplans aufsteigen.‎

Auf der Konferenz sprachen 12 Referenten aus ‎Politik, Verwaltung und Wissenschaft über die ‎Wiederbelebung des Güterverkehrs mit der Bahn.

Gleisanschluss in der Praxis

Auf dem Gelände der Firma Binderholz könnten die Teilnehmer „live“ ‎erleben, wie gut dort der Schienentransport ‎funktioniert und wie digitale Technik alle Prozesse ‎beschleunigt. Als zweitgrößtes Sägewerk Europas liefert Binderholz Holz bis nach ‎Norwegen. ‎Seit 2006 nutzt das Unternehmen im Interpark in Kösching bei ‎Ingolstadt den Gleisanschluss. Bis zu 15.000 Waggons ‎werden hier pro Jahr umgeschlagen. Eine ‎Erfolgsgeschichte, wie Martin Sigl, Logistik-Chef des ‎Unternehmens, betonte. Der „grüne“ Transport per Bahn ‎passe ideal zum Naturprodukt Holz, diene dem Firmen-Image ‎und sei auch betriebswirtschaftlich rentabel.

Sigl riet den Unternehmern dringend dazu, ‎die Option eigener Gleisanschluss zu prüfen. Er danke der ‎IHK für jahrelange Überzeugungsarbeit in Sachen ‎Schienengüterverkehr. ‎Der Lkw-Verkehr habe seine Kapazitätsgrenzen ‎längst erreicht. Laut amtlichen ‎Prognosen werde das Güterverkehrsaufkommen bis 2030 um ‎weitere 40 Prozent steigen. Ohne mehr Schienentransporte ‎sei das nicht machbar. Bei Spezialtransporten sei die ‎Bahn schon heute überlegen. Er selbst könne sich sein ‎Sägewerk ohne Gleisanschluss nicht vorstellen. ‎„So einfach kann das Leben sein“, betonte der Chef-‎Logistiker.

Leider ist das Leben für den ‎Schienengüterverkehr insgesamt noch recht beschwerlich. ‎Georg Lennarz, Güterverkehr-Experte beim Kölner Verband ‎Deutscher Verkehrsunternehmen zeigte anhand ernüchternder ‎Zahlen, wie dringlich die Gleisanschluss-Förderung des ‎Bundes ist. ‎Zwischen 1991 und 2016 ist der Anteil des Gütertransports ‎auf der Schiene von 21 auf 18 Prozent gesunken. 1997 gab ‎es noch gut 11.000 private Gleisanschlüsse in ‎Deutschland. Aktuell sind es noch etwa 1.400. Seit 2004 ‎fördert der Bund den Gleisanschluss durchaus üppig mit ‎bis zu 50 Prozent. Gleichwohl ist die Bilanz mager. 110 ‎Millionen Euro für 164 Gleisanschlüsse in 14 Jahren: Für ‎eine Wende reicht das nicht.‎

Steffen Müller, im Bundesverkehrsministerium der Mann für ‎den Masterplan und die Gleisanschlussförderung, räumte ‎ein, dass derzeit zwar 14 Millionen Euro Fördersumme pro ‎Jahr bereit stünden, davon aber nur rund ein Drittel ‎abgerufen werde. Die Gleisanschlussförderung sei ‎chronisch unbekannt.‎ Sie kommt auch nur für Firmen mit hohem Transportvolumen ‎infrage. Die Unternehmer kritisierten zudem den ‎Antragsaufwand und Bearbeitungszeiten von bis zu 15 ‎Monaten. „Da können sie gleich eine Consulting-Firma ‎engagieren“, klagte ein Teilnehmer. Auch Binderholz-‎Manager Sigl erklärte, er habe sich für den Förderantrag ‎das Logistik-Zentrum in Prien als Partner gesucht. ‎

Masterplan Schienengüterverkehr

Steffen Müller versicherte, man werde das Verfahren ‎vereinfachen und beschleunigen. Und das Entscheidende: ‎Mit dem „Masterplan Schienengüterverkehr“ will der Bund ‎Schluss machen mit bahnfeindlichen Rahmenbedingungen. Ein ‎eigener Gleisanschluss macht ja nur Sinn, wenn sich der ‎Schienentransport für Unternehmer ingesamt rechnet.‎

Die IHK ‎sieht in dem Masterplan den richtigen Ansatz: Darin befinden sich Punkte und Maßnahmen, die wir seit Jahren fordern. 66 Maßnahmen und fünf Sofortmaßnahmen ‎sollen für den „Wow-Effekt“ sorgen, den ‎Bundesverkehrsminister Scheuer verspricht. Die Palette ‎reicht von E-Mobilität, über Digitalisierung und ‎Weiterbildung bis hin zur Entscheidung, den Trassenpreis ‎für den Güterverkehr fast zu halbieren. ‎

Moderatorin Anita Würmser beobachtete auf der Konferenz ‎folglich etwas, was es schon lange nicht mehr gab: ‎Optimismus und Aufbruchstimmung. „Die Unternehmer haben ‎das Gefühl, jetzt tut sich endlich etwas“, sagte Würmser. ‎Auch Bahnprofis sehen das so. Christoph Kraller, Chef der ‎Südostbayernbahn, hält den Masterplan sogar für einen ‎historischen Durchbruch. ‎ ‎„Es ist das erste Mal, dass wir so etwas wie ein Konzept ‎haben,“ betont Kraller. Der Masterplan werde Wirkung ‎haben, die Frage sei nur wie viel. „Jetzt haben wir ‎endlich das Geld, den Plan und den politischen Willen. ‎Trotzdem wird es schwierig. Wir haben zu wenige Planer, ‎die Baufirmen ertrinken in Aufträgen.“, ‎stöhnt der Bahnbetreiber.‎

Herausforderungen für die Schiene

Auf der IHK-Konferenz erklärte der grüne Europa-‎Abgeordnete und Verkehrsfachmann Michael Cramer, wie ‎der Schienentransport systematisch gegenüber dem LKW ‎benachteiligt wird. EU-weit ist es nicht gelungen, die ‎einfachsten Dinge – wie technische Standards und ‎grenzübergreifende Elektrifizierung – durchzusetzen. ‎

Das hat bizarre Folgen. Wo Lkws reibungsfrei Grenzen ‎passieren, bleiben Güterzüge stehen. Die nationalen ‎Hürden reichen vom Lokwechsel über ‎Dokumentationspflichten und Sprachnachweise bis hin zu ‎Mindestlöhnen, die deutlich über den Tarifen ‎osteuropäischer Lkw-Fahrer liegt. Prof. Bernd Kortschak ‎Logistik-Professor an der FH Erfurt, bezweifelt daher, ‎dass selbst ein halbierter Trassenpreis auf der Schiene ‎etwas bringt. ‎

Laut Kortschak erreicht ein Stahltransport von Schweden ‎nach Italien auf der Schiene inklusive aller Zwangsstopps ‎eine effektive Geschwindigkeit von sieben Kilometern pro ‎Stunde (!). Der Lkw bringt es auf 65. Die Bahn kommt ‎Firmen viel zu teuer, weil sie mehr auf Vorrat lagern ‎müssen. Darin sieht Kortschak den eigentlichen ‎Kostentreiber. ‎ ‎

„Unsere Schieneninfrastruktur ist technisch in weiten ‎Teilen noch auf dem Stand des Jahres 1876. So lange das ‎so ist, bedeutet Digitalisierung nur höhere Kosten“, ‎erklärte der Verkehrswissenschaftler. Die anderen ‎Referenten sahen das zwar weit positiver, in einem ‎zentralen Punkt konnte aber auf dem Podium niemand ‎Entwarnung geben. ‎

Der verkehrspolitischen Wende läuft die Zeit davon. Es ‎dauert zu lange, bis die geplanten Maßnahmen Wirkung ‎zeigen. Auf die Frage der Moderatorin, wann man in ‎Deutschland flächendeckend elektrifizierte Bahnstrecken ‎oder alternative Antriebe habe, mussten die Experten von ‎Bund und Land passen: „Vielleicht in 30 Jahren.“‎

Die Misere auf der Straße verschärft sich deutlich ‎schneller. Die ADAC-Staubilanz für 2017 ‎verzeichnet 723.000 Staus mit einer Gesamtlänge von 1,45 ‎Millionen Kilometern. Wieder Rekordwerte, natürlich. ‎Deutschland hat viele Milliarden für den Klimaschutz ‎investiert. Im Verkehr sind die CO2-Emissionen seit 1990 ‎um 25 Prozent gestiegen.

‎In Brüssel und Berlin denkt man seit Jahren über eine ‎CO2-Abgabe nach. Sollte es – aufgrund des steigenden ‎Zwangs zum Klimaschutz – dazu kommen, würde das die ‎Chancen der Bahn drastisch erhöhen. Auf diesen ‎Nachfragesprung muss man nach Ansicht von IHK-Fachmann ‎Wieland vorbereitet sein. „Wir brauchen ein Umdenken auf ‎allen Ebenen. Als IHK fördern wir das, wo wir nur können. ‎Die Konferenz in Ingolstadt war hierfür ein wichtiger ‎Schritt“, so der Schienenexperte.‎