Strom: Mit Flexibilitätsoptionen Energiewende voranbringen
Für die Wirtschaft in Bayern, v. a. für energieintensive Industriebetriebe, sind Stromversorgungssicherheit und Netzstabilität wichtige Wettbewerbsfaktoren. Der Ausbau erneuerbarer Energien bringt Energiewende und Klimaschutz voran, gleichzeitig aber auch neue Herausforderungen für den Stromsektor.
Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen ist im Vergleich zur Erzeugung in konventionellen Kraftwerken volatiler. Die Stromeinspeisung unterliegt somit zunehmend Schwankungen. Dies erfordert Anpassungen an der Energieinfrastruktur. Zudem ermöglichen es Flexibilitätsoptionen, wie das nachfrageseitige Lastmanagement, dass sich auch die Verbraucherseite proaktiv auf die Volatilität einstellen und den eigenen Verbrauch optimieren kann.
Als IHK setzen wir uns daher bei der Politik u. a. dafür ein, dass Entwicklung und Anwendung solcher Optionen gezielt gefördert werden.
Über ihre Erfahrungen mit nachfrageseitiger Flexibilität in Unternehmen und den damit verbundenen Potentialen und Hürden berichtet Clarissa Irion, Business Development Managerin bei der Entelios AG.
Entelios AG: Flexibilität ist der Schlüssel zum neuen Energiesystem
Die Entelios AG mit Hauptsitz in München wurde 2010 gegründet und trägt mit ihren Dienstleistungen dazu bei, die immer volatileren Energieflüsse im Stromnetz zu stabilisieren. Entelios ist durch seine Technologielösungen heute einer der führenden Anbieter für nachfrageseitige Flexibilität im Strommarkt.
Zu den Dienstleistungen der Entelios AG zählen digitale Lösungen zur Realisierung von Flexibilitätspotentialen bei Stromverbrauch, Stromspeicherung und -erzeugung. Damit unterstützt das Unternehmen Akteure aus der energieintensiven Industrie und anderen Wirtschaftszweigen, ebenso wie aus dem öffentlichen Sektor, bspw. durch gezieltes Lastmanagement, sich einerseits aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu optimieren und andererseits einen Beitrag zur Energiewende zu leisten.
Aufgrund der fehlenden Speicherfähigkeit von Stromnetzen ist das Ausbalancieren von Erzeugung und Verbrauch ein kritischer Faktor einer sicheren Stromversorgung. Lastflexibilität bedeutet grundsätzlich die Möglichkeit, Anlagen oder Prozesse flexibel zu steuern, sprich kurzfristig den Verbrauch oder die Erzeugung anzupassen, abhängig von bestimmten Signalen. Dabei ist zwischen zwei Anreizen zu unterscheiden: Preissignale sowie systemdienlichem Verhalten.
Im Zusammenhang mit Preissignalen kann Flexibilität bspw. (proaktiv) am Intraday-Handel der Strombörse EPEX-SPOT vermarktet werden. Bei den systemdienlichen Produkten wird hingegen Flexibilität bereitgestellt, um das Stromnetz jederzeit in Balance zu halten. Dazu zählt neben der Regelleistung mit verschiedenen Unterprodukten, je nach Reaktionsgeschwindigkeit der Anlagen, auch die Verordnung über Abschaltbare Lasten (AbLaV), eine Art Notoption für besonders kritische Netzzustände. Ursprünglich hat Entelios sich nur auf Systemdienstleistungen spezialisiert, mittlerweile bieten wir aber auch Produkte an, welche vermehrt auf Preissignale im Kurzfristhandel reagieren.
Grundsätzlich ist erstmal jeder gut steuerbare elektrische Verbraucher oder Erzeuger zur Flexibilitätsbereitstellung nutzbar. Bei Entelios sind wir auf Flexibilitätslösungen für energieintensive Industriebetriebe spezialisiert. Gerade in diesen Betrieben herrscht ein großes, heute oft noch ungenutztes Flexibilitätspotential, welches wir gemeinsam mit unseren Kunden identifizieren und nutzbar machen. Sowohl industrielle Lasten als auch Eigenerzeuger können an unserem „Demand Response Programm“ teilnehmen.
Zunächst ist ein entscheidender Faktor das vorhandene Flexibilitätspotential der betreffenden Anlagen. Dann spielt eine gewisse Mindestgröße an Flexibilität für die erfolgreiche Hebung der Potentiale eine Rolle. Die Bereitschaft des Betriebs zur Umsetzung von Flexibilitätslösungen ist dabei Grundvoraussetzung. Denn vor allem industriellen Anlagen liegen zumeist hochsensible Prozesse zu Grunde. Die Einbindung der Anlagenverantwortlichen ist unumgänglich, um eine schnelle, stabile Umsetzung zu gewährleisten.
Natürlich spielen über die Flexibilität erwirtschaftete Zusatzerlöse eine zentrale Rolle für Unternehmen. Dabei ist jedoch nicht außer Acht zu lassen, dass für die Betriebe oftmals auch erhebliche Aufwände, wie die Anpassung der Prozessleitsysteme, entstehen. Aber Unternehmen, vor allem in der energieintensiven Industrie, haben eben auch Interesse an einer stabilen Energieversorgung und sind durchaus bereit, ihren Beitrag zur Versorgungssicherheit zu leisten. Viele Betriebe stellen ihre Flexibilität daher auch im Sinne einer erfolgreichen Energiewende zur Stabilisierung des Stromnetzes zur Verfügung. Ein weiterer Anreiz sind betriebsintern vereinbarte Nachhaltigkeitsstrategien.
Nachfrageflexibilität befördert vor allem die Energiewende und dadurch den Schutz des Klimas. Demand Side Management (DSM) bringt die Energiewende als Ganzes voran, denn es hilft, die durch Kohle- und Atomausstieg in Kombination mit dem Erneuerbaren-Ausbau immer stärker fluktuierenden Energiemengen auszugleichen.
Der Vorteil von DSM im Vergleich zu anderen Optionen der Netzstabilisierung: Es sind keine umfangreichen Genehmigungsprozesse oder Akzeptanzprobleme zu erwarten, wie sie bspw. beim Bau neuer Gaskraftwerke Alltag sind und oft zu Verzögerungen führen. Industrielle Lasten existieren bereits. Zudem befinden diese sich in den industriellen Verbrauchszentren Deutschlands, welche im Gegensatz zum erneuerbaren Erzeugungsschwerpunkt im Norden und Osten Deutschlands hauptsächlich im Süden und Westen liegen. Durch Nutzung der Flexibilität dieser Lasten wird kein zusätzlicher Netzausbau benötigt oder dieser zumindest reduziert. Diese Flexibilität ist außerdem CO2-neutral. Es entstehen keine zusätzlichen Treibhausgasemissionen, wie das beim Einsatz von konventionellen Kraftwerken zum Ausgleich von Erzeugungsengpässen der Fall wäre.
Der Wille der Unternehmen ist ausschlaggebend. Viele Unternehmen beschäftigen sich aus Überzeugung mit der Flexibilität ihrer Lasten. Einerseits natürlich, um Zusatzerlöse zu generieren. Andererseits auch, um perspektivisch zu lernen, mit zunehmend volatilen Märkten umzugehen oder aus ideologischer Überzeugung.
In Projekten, in denen bspw. im Rahmen des Lastmanagements ein ganzes Werk temporär abgeschaltet wird, kann sehr viel Überzeugungsarbeit in den Unternehmen notwendig sein. Oft über Jahre hinweg und auf allen hierarchischen Ebenen. Ist diese Überzeugung dann in allen Bereichen, von den Entscheidern bis zu den Anlagenverantwortlichen, vorhanden, sorgt das in der Regel für eine schnelle und reibungslose Projektphase. Ausschlaggebend für eine erfolgreiche Umsetzung ist auch eine präzise Abstimmung mit allen Beteiligten über alle Phasen des Projektes hinweg, da es sich oftmals um sensible industrielle Prozesse handelt.
Doch gerade in Bezug auf DSM hat in den letzten Jahren ein regelrechter Paradigmenwechsel in den einzelnen industriellen Branchen stattgefunden, welcher noch andauert: Anlagenseitige Überkapazität wird mittlerweile im Hinblick auf die Stromnetzstabilität von industriellen Lasten regelrecht erwünscht und dringend benötigt. Systemdienliche Produkte der Übertragungsnetzbetreiber, wie die Regelleistung, verdeutlichen dies.
Grundsätzlich ist zu klären, ob und welche Flexibilitätsoptionen eine Anlage bereitstellen kann. Ausschlaggebende Faktoren sind z. B. die Reaktionsgeschwindigkeit oder Regelgenauigkeit. Fehlende Wirtschaftlichkeit durch ein nicht ausreichendes Maß an Flexibilität oder zu hohem Investitionsbedarf sind die häufigsten Hinderungsgründe. Natürlich können auch konjunkturelle Rahmenbedingungen ein Projekt begünstigen oder erschweren. Bei hochindustriellen Prozessen bedarf es zudem eines absolut sicheren Abschaltvorgangs, damit die Anlagen keinen Schaden nehmen. Solche technischen Hürden sind projektspezifische Herausforderungen und werden von uns gemeinsam mit unseren Kunden gelöst. Gerade im Bereich der industriellen Flexibilität gleicht kein Projekt dem anderen, was jedes Projekt aufs Neue spannend und herausfordernd macht.
Ein entscheidender Faktor für die Nutzung von Flexibilitätspotentialen ist für Unternehmen die Planungs- und Investitionssicherheit, da dies oftmals mit erheblichen organisatorischen wie finanziellen Aufwänden verbunden ist. Es können mitunter große Investitionssummen notwendig sein, um die Lastflexibilität technisch überhaupt umsetzen zu können. Bei einem Mangel an Planungssicherheit tun sich viele Betriebe dann verständlicherweise schwer, ihre „brachliegende“ Flexibilität dem Stromnetz zum Ausgleich zur Verfügung zu stellen.
Der gerade von der Bundesnetzagentur bestätigte Szenariorahmen für den Netzentwicklungsplan (2021-2035) verdeutlicht, dass in den kommenden Jahren mit einem erhöhten Bedarf an Lastflexibilität geplant wird. Diese Bedarfsplanung ist aus unserer Sicht zu begrüßen und verdeutlich den Fokus einer planungseffizienten Energiewende.
Gerade für große Verbraucher wäre es sinnvoll, Anreize zu schaffen, in die Flexibilität ihres Verbrauchs zu investieren. Dies wird aktuell von der Politik nicht konsequent verfolgt. Bspw. die Regelung zum reduzierten Netzentgelt bei einem kontinuierlichen Strombezug über 7.000 Stunden im Jahr verhindert die Anwendung von Lastflexibilität und somit einen sinnvollen Beitrag größerer Stromverbraucher in Deutschland zur Energiewende.
In den letzten 10 Jahren haben sich die Flexibilitätsmärkte und -optionen kontinuierlich weiterentwickelt. Flexibles Verhalten ist nun auch regulatorisch anerkannt und wird nicht mehr, wie teils früher üblich, „bestraft“.
Im DSM-Markt sind mittlerweile nahezu alle Industriebranchen vertreten. Durch „Nebeneinkünfte“ aus DSM können bestehende Prozesse optimiert sowie Investitionen in Energieeffizienz getätigt werden, was wiederum einerseits zu einer Vermeidung von Emissionen führt und andererseits den Wirtschaftsstandort Deutschland stärkt. Unternehmen, welche sich frühzeitig mit nachfrageseitiger Flexibilität befasst haben, sind nachgewiesen erfolgreicher. Der produktionsseitige Umgang mit volatilen Märkten hat sich als Wettbewerbsvorteil herauskristallisiert. Daneben ist deutlich zu erkennen, dass DSM in allen Spannungsebenen auch zu einem effektiveren und geringeren Netzausbau geführt hat.
Entscheidender Faktor für diese Entwicklungen und die heutige breite Bereitstellung nachfrageseitiger Flexibilität war der Einbezug der Industrie. Das hat die Politik erkannt und für Planungssicherheit gesorgt. Ausschlaggebend war auch, dass die Energiewende konsequent vorangetrieben wurde. Der massive Zubau an Erneuerbaren führte zu einem höheren Bedarf an DSM, um das Stromnetz weiterhin im Gleichgewicht zu halten.
Gut zu wissen!
Flexibilitätsoptionen helfen dabei, die Mengen von erzeugtem Strom und Strombedarf in Zeiten der Energiewende in Balance zu bringen. Mögliche Flexibilitäten sind z. B. Kraftwerke, die Ihre Stromerzeugung an die Produktionsmengen von Erneuerbaren-Anlagen anpassen können, Speicher zur Zwischenlagerung von temporär überschüssigem Strom oder Optionen zur Verbrauchsanpassung auf der Nachfrageseite.
Bei Letzterem beeinflussen Stromnachfrager, wie Industrieanlagen, gezielt ihren Verbrauch, indem sie auf Preissignale am Markt reagieren oder bei Ungleichgewichten im Stromnetz bspw. Regelleistung bereitstellen. In diesem Zuge schalten Betriebe bestimmte stromverbrauchende Prozesse, sogenannte Lasten, situationsbedingt ab oder zu. Sie tragen damit zum Ausgleich schwankender Stromerzeugung aus Erneuerbaren und somit zur Stromnetzstabilität bei. Gleichzeitig optimieren sie ihren Stromverbrauch und die zugrundeliegenden Kosten und können sich eine neue Einnahmequelle erschließen. Am Markt angebotene Lastflexibilität wird dort vergütet. Mehr dazu gibt es bei der Deutschen Energie-Agentur.
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