ifo-Studie: Exportdefizitland Bayern - Ausdruck einer Industrie-Standort-Schwäche?
Satte Exportüberschüsse als Ausdruck der wirtschaftlichen Stärke Bayerns gehören der Vergangenheit an. Dies zeigt die vorliegende ifo-Studie im Auftrag der IHK für München und Oberbayern. Der Freistaat muss sich damit von einem wesentlichen Markenzeichen seines rasanten Wirtschaftsaufschwungs der Nachkriegszeit verabschieden. Bereits seit 2019 ist Bayern kein Netto-Exporteur von Gütern mehr, das heißt im Freistaat werden mehr Waren im Ausland eingekauft als exportiert wird. In dieser Kurzexpertise wird die Entwicklung und Hintergründe des internationalen bayerischen Güter- sowie des Dienstleistungsexportdefizits analysiert. Schließlich werden die Ergebnisse interpretiert und wirtschaftspolitische Lösungsansätze aufgezeigt.
Die ausführliche Studie finden Sie auf dieser Seite unter "Downloads".
Inhalt
- Bestandsaufnahme: Entwicklung des bayerischen Außenhandels
- Zunahme des Exportdefizits als Ausdruck der Schwäche des Industrie- und Wirtschaftsstandorts Deutschland und Bayern?
- Ist ein Exportdefizit grundsätzlich gut oder schlecht für den Wohlstand in Bayern?
- Welche wirtschaftspolitischen Konsequenzen resultieren aus diesen Entwicklungen und worin bestehen wirtschaftspolitische Lösungsansätze?
Bestandsaufnahme: Entwicklung des bayerischen Außenhandels
Seit 2019 ist Bayern kein Nettoexporteur von Gütern mehr. Das bayerische Güterexportdefizit ist seitdem kontinuierlich angestiegen und belief sich im Jahr 2022 auf 34,2 Mrd. Euro. Bedingt durch die Covid-19-Pandemie und den Krieg in der Ukraine hat sich das Güterexportdefizit in Bayern im Umfang von etwa 6 Mrd. Euro (ca. 20 % des Anstiegs des Güterexportdefizits zwischen 2019 und 2022), insbesondere durch Preiseffekte, verschärft. Dennoch sind knapp 28,3 Mrd. Euro bzw. 80% des Güterexportdefizits nicht krisenbedingt, sondern struktureller Natur. Eine Auswertung von Außenhandelsdaten auf Branchenebene zeigt, dass vor allem wichtige bayerische Exportbranchen zwischen 2019 und 2022 einen Rückgang ihrer Exportüberschüsse erlebt haben. Gleichzeitig hat das Importwachstum von Vorprodukten, die für die Dekarbonisierungder Wirtschaft wichtig sind, wie Akkumulatoren und Batterien, deutlich an Dynamik gewonnen.
Im Dienstleistungshandel weist Deutschland seit Jahren ein Exportdefizit im Umfang von jährlich etwa 50 bis 70 Mrd. Euro aus. Gemäß einer Schätzung betrug 2019 der Wert der bayerischen Importe 54,3 Mrd. Euro, der Wert der Exporte lag bei 38,8 Mrd. Euro. Daraus ergab sich ein bayerisches Dienstleistungsexportdefizit von 15,5 Mrd. Euro. Für 2022 wird das bayerische Dienstleistungsexportdefizit auf etwa 20,4 Mrd. Euro geschätzt. Damit ergibt sich 2022 für Bayern ein Außenhandelsdefizit (Güter und Dienstleistungen) von 54,5 Mrd. Euro. Das entspricht einem Anstieg beim Außenhandelsdefizit von 35,8 Mrd. Euro seit 2019 (+191%).
Zunahme des Exportdefizits als Ausdruck der Schwäche des Industrie- und Wirtschaftsstandorts Deutschland und Bayern?
Eine Analyse des Produktionsvolumens in der Industrie zeigt, dass Bayerns Industrieproduktion seit 2018 zurückfällt. Während die Produktion beispielsweise im Nachbarland Österreich und dem Euroraum (EU-19) seit 2021 angestiegen ist, stagniert das bayerische und deutsche Produktionsvolumen. Das betrifft unter anderem die chemische Industrie, sowie die Automobilindustrie. Gerade die Fertigungsbeschäftigung war in wichtigen Industriebranchen (z.B. Maschinenbau, Automobilindustrie, Elektrotechnik) in der letzten Dekade rückläufig. Die Anlageinvestitionen liegen in Deutschland auf niedrigem Niveau. Gleichzeitig gehören Unternehmen aus der Chemie- und Automobilindustrie sowie dem Maschinenbau zu den großen Direktinvestoren im Ausland, insbesondere in China und den USA. Auch im Vergleich mit unseren direkten Nachbarn, scheint es in Deutschland und Bayern Standortfaktoren zugeben, welche die Industrieproduktion belasten.
Zu diesen Belastungsfaktoren zählen Herausforderungen, die bereits vor der aktuellen Krise bestanden, wie z.B. der demographische Wandel (v.a. der Fachkräftemangel), das Dekarbonisierungsziel bis 2045, sowie der Rückstand bei der Digitalisierung. Zusätzliche Faktoren ergeben sich durch die aktuelle Krise. Dazu zählt die dauerhafte Verteuerung der Energie in Europa insgesamt bzw. der Energiepreisunterschied zwischen den europäischen Ländern zu Ungunsten Deutschlands, Außenhandelsfriktionen und Probleme durch Wettbewerbsverzerrung infolge ausländischer Subventionsprogramme (USA, China), sowie die höheren Verteidigungslasten und der daraus resultierende Druck auf die öffentlichen Finanzen.
Ist ein Exportdefizit grundsätzlich gut oder schlecht für den Wohlstand in Bayern?
Hohe Exporte sind aus Unternehmensperspektive zunächst ein Ausdruck für Wettbewerbsfähigkeit und dafür, dass die Güter „Made in Bavaria“ weltweit gefragt sind. Aus unternehmerischer Sicht gibt es jedoch viele Gründe, warum sich Unternehmen gegen eine heimische Produktion von in Deutschland/Bayern entwickelten Produkten entscheiden. Zu diesen Gründen zählt beispielsweise das Kalkül, näher an Rohstoffen und Absatzmärkten zu produzieren oder Local-Content-Vorschriften. Damit zeichnen die Exportzahlen nur ein unzureichendes Bild des internationalen Erfolgsvon bayerischen Unternehmen.
Aus makroökonomischer Sicht ist ein Exportüberschuss oder -defizit per se weder gut noch schlecht. Exportiert eine Volkswirtschaft mehr als sie importiert, baut sie Forderungen gegenüber dem Ausland auf (Nettokapitalexport). Importiert eine Volkswirtschaft dagegen mehr als sie exportiert, baut sie Verbindlichkeiten gegenüberdem Ausland auf (Nettokapitalimport). Exportüberschüsse bzw. -defizite können daher auch als intertemporaler Handel interpretiert werden: Mehr Exporte in der Gegenwart (Exportüberschuss) ermöglichen mehr Importe in der Zukunft (Exportdefizit) oder andersherum. Ein Argument für die deutschen Exportüberschüsse ist demnach der demografische Wandel: Exportüberschüsse in der Gegenwart können in der Zukunft Exportdefizite für eine gealterte Gesellschaft „finanzieren“. Eine pauschale Bewertung eines Leistungsbilanzdefizits (Exportdefizits) ist also problematisch. Vielmehr muss nach dessen Ursachen gesucht werden. Problematisch wäre ein langfristiges Exportdefizit dann, wenn es auf eine Schwäche des Industriestandorts zurückzuführen ist.
Welche wirtschaftspolitischen Konsequenzen resultieren aus diesen Entwicklungen und worin bestehen wirtschaftspolitische Lösungsansätze?
Als Folge des zunehmenden Exportdefizits sollte sich Bayern vor allem auf eine Angebotspolitik konzentrieren, die eine Entfaltung der Stärken Bayerns in einem tiefgreifenden strukturellen Wandel zulässt. Eine geeignete Angebotspolitik umfasst insbesondere Maßnahmen zur Steigerung des Arbeitsangebots und Investitionen in Bildungund Weiterbildung. Denn der Fachkräftemangel wird sich in den nächsten Jahren nochmals deutlich verschärfen. Auch Maßnahmen zur Steigerung der Akzeptanz von Automatisierung und Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft können dazubeitragen, den Fachkräftebedarf abzumildern. Darüber hinaus bedarf es einer allgemeinen Verbesserung von Standortbedingungen (Unternehmensbesteuerung, Bürokratie, Infrastruktur) für Unternehmen.
Investitionen in Forschung und Entwicklung sollten gefördert werden, mit dem Ziel, neue Produktionsverfahren zu entwickeln, um ressourcenschonender zu produzieren und damit Rohstoffabhängigkeiten zu reduzieren. Zudem bedarf es einer Justierung der Energiepolitik. Im Fokus sollte die Integration der europäischen Strommärkte und die Ausnutzung aller Möglichkeiten zur Erhöhung des Stromangebots auf dem Weg zur erneuerbaren Stromproduktion stehen. Schließlich muss die Außenhandelspolitik an neue geopolitische Herausforderungen angepasst werden. Dazu sollten neue Handelsabkommen und Rohstoffpartnerschaften geschlossen werden, um Unternehmen zu ermöglichen, einseitige Abhängigkeiten zu reduzieren. Neben einer Vollendung der Integration des EU-Binnenmarktes sollte weiterhin auf die Chance der Globalisierung gesetzt werden.