04.12.2019 - Landkreis München
Strategien gegen den Stau
Der IHK-Regionalausschuss München (Landkreis) hat Anfang 2018 ein Smart Mobility Vorhaben angestoßen, das helfen soll, den Verkehrsfluss in Kirchheim zu verbessern. Was wurde bisher erreicht?
Stillstand auf den Straßen gehört gerade in Ballungszentren zum Alltag. Nach Erkenntnissen des US-amerikanischen Verkehrsinformationsanbieters Inrix verbringen Autofahrer in Deutschland pro Jahr durchschnittlich mehr als 120 Stunden im Stau. In München waren es im Vorjahr sogar 140 Stunden, das sind umgerechnet fast sechs Tage. Die durch den zeitraubenden Stop-and-go-Verkehr verursachten Kosten summierten sich im Schnitt auf mehr als 1 200 Euro pro Autofahrer. Betroffen ist auch die Wirtschaft. Berufspendler stehen im Stau, Lieferanten, Service- und Außendienstmitarbeiter können vereinbarte Kundentermine nicht einhalten. Die Folgen: zusätzliche Kosten und verärgerte Kunden.
Der IHK-Regionalausschuss München (Landkreis) hat diese Herausforderungen rund um den Straßenverkehr aufgegriffen und 2017 eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Daraus entstand Anfang 2018 in Kirchheim, wenige Kilometer östlich der Landeshauptstadt, zusammen mit der dortigen Gemeindeverwaltung und dem Landratsamt München eine Smart-Mobility-Initiative. Ziel war es zunächst, Daten über die Verkehrsströme in Kirchheim zu sammeln und auszuwerten.
Die Gemeinde will sich mit Hilfe der Resultate für künftige Anforderungen wappnen und den Verkehrsfluss dank digitaler Technik so steuern, dass sich der 13 000-Einwohner-Ort möglichst ohne unerwünschte Stopps durchqueren lässt. Die Zwischenbilanz nach rund eineinhalb Jahren ist positiv: Das Vorhaben hat bereits einiges in Bewegung gesetzt.
Kirchheim bildet im Landkreis München verkehrstechnisch gewissermaßen einen Hotspot, durch den täglich Tausende Pkws und Lkws fahren. Schon jetzt ist klar, dassder Verkehrsdruck weiter zunehmen wird – allein schon deshalb, weil im Rahmen des Ortsentwicklungsprojekts »Kirchheim 2030« eine neue Wohnbebauung für rund 3 000 Einwohner geplant ist.
Mittlerweile beteiligen sich knapp 30 Unternehmen und Organisationen an der Smart-Mobility-Initiative. »Ich war sehr positiv überrascht, dass derart viele Unternehmer hochmotiviert in ihrer Freizeit mitmachen und dass sie die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter unentgeltlich zur Verfügung stellen«, freut sich René Fassbender (42), stellvertretender Vorsitzender des IHK-Regionalausschusses München (Landkreis) und Gründer der OmegaLambdaTec GmbH in Garching.
Was wurde bisher angestoßen?
Das Innovationszentrum der IABG GmbH in Ottobrunn, die unter anderem in der Autoindustrie als Test- und Entwicklungsdienstleister tätig ist, entwickelte eine Softwarelösung, mit der sich die Routen von Pendlerbussen so festlegen lassen, dass sich möglichst kurze Fahr- und Wartezeiten ergeben.
Ein sogenannter Soundcounter des Münchner Start-ups LXElectronics misst an ausgewählten Stellen die Zahl der Passanten – über die Geräusche, die sie beim Vorbeigehen machen.
Die Bremicker Verkehrstechnik GmbH aus Weilheim richtete ein digitales Verkehrs und Informationssystem ein, das im Ort an bestimmten Stellen die Anzahl vorbeifahrender Fahrzeuge samt Geschwindigkeit erfasst. Im Rahmen der Initiative wurde dieses System technisch ergänzt. Die gesammelten Daten werden mit weiteren verkehrsrelevanten Informationen wie zum Beispiel Wetterdaten verknüpft und ausgewertet. Studenten der TUM haben im Rahmen eines Praktikums die Visualisierung der Daten in einer App umgesetzt. Der Münchner IT-Service-Provider Space-Net AG wiederum übernimmt die Speicherung der gesammelten Daten und Informationen.
Im Rahmen der Initiative entstanden zudem mehrere Bachelor- und Masterarbeiten, etwa zur »Entwicklung eines Radarsensorsystems zur echtzeitnahen Verkehrsflussmessung« und zur »Analyse des Pendlerverhaltens«.
»Dank hochmotivierter Unternehmer und Experten haben wir mit geringem finanziellem Aufwand ein tolles und vielversprechendes Referenzprojekt mit Vorbildcharakter für andere Städte und Gemeinden zustande gebracht«, resümiert Fassbender. Nach Abschluss der Arbeitsgruppe des IHK-Regionalausschusses sei jetzt das Ziel, dass daraus ein staatlich gefördertes Smart-City-Forschungsprojekt mit einer Laufzeit von zwei bis drei Jahren entsteht. In einigen Jahren könnte eine Standardlösung mit Radar-, Video- und Geräuschsensoren marktreif sein, die dazu beitragen kann, die Verkehrsprobleme in den Ballungszentren zu meistern. »Unser Fernziel ist ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Steuerungssystem, das Ampeln und digitale Verkehrsschilder je nach Verkehrsaufkommen automatisch so schaltet, dass Stop-and-go-Situationen minimiert werden«, skizziert Fassbender die ehrgeizigen Pläne. Allerdings gilt es zuvor, rechtliche Hürden zu überwinden. So seien derzeit Anlagen mit digitalen Geschwindigkeitsanzeigen und Verkehrshinweisen für Autofahrer nur innerhalb von Ortschaften erlaubt, nicht aber auf den Staatsstraßen außerhalb.
Auch Tobias Schock (35), Referent für Wirtschaftsförderung der Gemeinde Kirchheim, zieht ein überaus positives Zwischenfazit: »Das Smart-Mobility-Projekt hilft uns, die Verkehrsströme im Ort besser zu verstehen, und demonstriert eindrucksvoll das enorme Potenzial einer intelligenten Verkehrssteuerung.« Bereits jetzt lassen sich Verkehrsströme in der Gemeinde auf Basis der erfassten Verkehrsdaten mit Computerhilfe simulieren. »Damit könnten wir langfristig auch die Planungen für den Straßen-, Wohnungsund Gewerbebau verbessern«, so Schock.
Der Artikel ist in der Dezemberausgabe des IHK-Magazins wirtschaft erschienen. Das vollständige Magazin kann hier abgerufen werden.